Turnhalle im Wohnzimmer: Ohne meinen Frühsport keine Arbeit

Sport braucht nicht unbedingt eine Yoga-Matte. Unser Kolumnist fordert seine Muskeln schon frühmorgens beim Ausräumen der Spülmaschine.

Mann raeumt die Spuelmaschine ein

Frühsport mal anders Foto: Pond5 Images/imago

Hausarbeit hat einen schlechten Ruf, ist aber mindestens so fordernd wie Yoga. Nun à la Bild so lange Wellness-Expert:innen abzutelefonieren, bis mir wer das schlussendlich bestätigt, ist mir ehrlich gesagt zu unentspannt, ich weiß, was ich weiß, denn ich sehe, was ich sehe: Während meine Freundin in der Rushviertelstunde des Tages zwischen 6.30 Uhr und 6.45 Uhr sich in unsere Turnhalle (früher: Schlafzimmer) zurückzieht, um von stets gut gelaunten, sonnenbeschienenen und manchmal sogar hundebegleiteten US-Amerikanerinnen sich anstretchen zu lassen, beginne ich als leichtes Aufwärmtraining mit dem Ausräumen der Spülmaschine.

Im Anschluss gehe ich an die schweren Geräte, widme mich den am Abend ­eingeweichten Pfannen und Töpfen, ich koche nicht gern One Pot. Meine Freundin hatte, bevor ich gegen 21 Uhr vom Tischabräumen ins Bett und sie vom Schreibtisch zu ihrer Netflixserie wechselte, noch angekündigt, die Küche „so weit fertig“ zu machen, aber ich kann einen Spaß ­vertragen – hatte ich doch schon gegen 5.30 Uhr die Espressomaschine und den Milchaufschäumer gesäubert.

Aber die Vorbereitung des Drogen­bestecks lasse ich nicht als Frühsport gelten, das ist schon mein Privatvergnügen, da bin ich hart mit mir selbst! Wecken lasse ich mich seit ein paar Monaten übrigens gegen 5.15 Uhr mit dem spitzen Ton „Milch“ und ein paar Rüttlern, da habe ich meinen zweijährigen Sohn perfekt eingestellt. Beim Handabzu­waschenden steigere ich das Tempo kontinuierlich. Mich motiviert dabei, dass meine Freundin nach dem Yoga unter die ­Dusche möchte und die Wasserleitungen in unserer Wohnung kommunizierende Röhren sind.

Wenn ich Spülwasser laufen lasse, wird das Duschwasser heißer – das gibt dann durch Klopfen gegen die Wand angezeigten Punktabzug. Diesem Muskelaufbau folgt locke­res Auslaufen durch die Wohnung, in Kombi mit Parcours und Gleichgewichtsübungen, benutzte Tassen und ­tricky halbvolle Wassergläser von Regalen und Kommoden holen, Tochterklamotten und Taschentücher einer seit Anfang November durchgehend erkälteten vierköpfigen Familie vom Boden aufheben, Mülltrennung als Demenzvorsorge gleich mit einplanen – man will ja nicht völlig verblöden.

Dann aber nun zum echten Wachwerden endlich unter die Wechseldusche, der Rest der Familie unterstützt mich, indem fein koordiniert alle Hähne und Spülungen betätigt werden, was mir den einen oder anderen Freudenschrei entlockt, wenn das Wasser erst kochend heiß und dann eiskalt wird. Beim folgenden Windelwechseln kommt eine Kampfsporteinheit dazu, ich ermutige mein auf der Wickelkommode liegendes Söhnchen zu präzisen Tritten in die Körpermitte, beim Anziehen des Schneeanzugs ringen wir eine Runde, wie immer hat er stilistisch mehr drauf, aber am Ende gewinne ich.

Dann mit ihm auf dem Arm und den diversen Mülltüten die Treppe runter. Da heute die Babysitterin zum Abholen kommt, fällt das Radcross zur Kita aus, ich pflüge stattdessen den Buggy durch den Schnee, mein Michelle-Obama-Armtraining (Happy Birthday zum 60.!).

Als wir im dritten Stock bei der Kita angekommen sind und ich den Sohn abgebe, fällt mir auf, dass ich seinen Rucksack vergessen habe – BÄM, Strafrunde, Viertelstunde in Winterklamotten nach Hause joggen, wieder Treppen hoch, Rucksack holen, diesmal auf dem Rad zur Kita und dann weiter zur Arbeit. Ein Deo habe ich dabei. Aber meinen Rucksack vergessen.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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