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: Keine Kuh hat was gegen Peru

AfD und CSU halten der Ampelregierung vor, lieber Fahrradwege in Lima als deutsche Bauern zu finanzieren. Diese Finanzierung war allerdings schon unter der Vorgängerregierung, namentlich vom CSU-Entwicklungsminister, beschlossen worden. Fahrradfahrer in Peru sind nicht die Sündenböcke für eine verfehlte deutsche Agrarpolitik

Aus Lima von Hildegard Willer

Selten ist Peru so prominent in der deutschen Öffentlichkeit vertreten wie dieser Tage. Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar warf der Ampel-Regierung vor, falsche Schwerpunkte zu setzen, unter anderem „315 Millionen Euro für Busse und Fahrradwege in Peru“ auszugeben.

Tatsächlich, so ließ das Entwicklungsministerium Mitte Januar wissen, habe die Bundesregierung 44 Millionen Euro zugesagt, um Radschnellwege in der peruanischen Hauptstadt Lima zu finanzieren, und 155 Millionen Euro für das Bussystem. Allerdings seien das Kredite. Deutschland würde daran verdienen.

In rechten Kreisen sorgte diese Richtigstellung nur für noch mehr Aufregung. Auch CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb am16. Januar auf X: „Die Ampel verteilt Geld in aller Welt, aber für unsere hart arbeitenden Bäuerinnen und Bauern ist angeblich kein Geld da? Das geht so nicht!“

Da musste dann ausgerechnet ein FDPler entgegnen: „Diese Radwege sind blauweiß.“ Damit meinte er, dass die Ampel-Regierung nur das fortführe, was unter CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller beschlossen worden war. Angesichts dieses lustigen Durcheinanders fragte ein Kolumnist der taz „Wie mag es sich in Peru so radeln? Weiß das jemand?“

Wenn es um mit deutschen Geldern erbaute Fahrradwege in Peru geht, die der deutschen Kuh angeblich den Garaus machen, bin ich Expertin. Seit mehr als 20 Jahren bewege ich mich in Lima mit dem Fahrrad durch die 10-Millionen-Einwohner-Stadt. Es ist bei weitem meine riskanteste Unternehmung hier, gefährlicher als Recherchetouren bei illegalen Goldschürfern oder im Regenwald bei Kokabauern.

Lima hat das Zeug zum Amsterdam Südamerikas: flach, es regnet nie und mit Temperaturen nie unter 12 Grad

Denn für Limas Autofahrer existiere ich als Radlerin praktisch nicht und kann deshalb angehupt, mit 10 Zentimeter Abstand überholt und beim Rechtsabbiegen geschnitten werden. Bin ja selber schuld, wenn ich nicht ausweiche, der Autofahrer hat ja vorher gehupt. Auf den Straßen Limas ist der mit dem fettesten Auto der Stärkste. Radfahrer und Fußgänger stehen ganz am Ende der Nahrungskette. Viel zu viele Polizisten fühlen sich außerdem nur für Autos zuständig. Fahrradwege waren bis vor wenigen Jahren eine Seltenheit.

Dabei hätte Lima das Zeug, zum Amsterdam Südamerikas zu werden: Die Stadt ist weitestgehend flach, es regnet nie und die Temperaturen gehen auch im Sommer nicht über 30 Grad und im Winter nicht unter 12. Der öffentliche Nahverkehr besteht vor allem aus überfüllten Bussen, die ebenso wie die Masse der Pkws stundenlang im Stau stehen. Fahrrad fahren in Lima wäre wirklich eine Alternative, um im Nahverkehr schneller voranzukommen, gerade auch für die Bewohner Limas, die in den ärmeren und weiter entfernten Vierteln wohnen.

Doch die meisten haben Angst, sich mit dem Fahrrad ungeschützt in den chaotischen Verkehr Limas zu stürzen. Deswegen sieht man hier auch keine Schulkinder auf Fahrrädern. Während der Coronapandemie hat sich für Fahrradfahrer einiges zum Guten verändert: Die Zahl der Radfahrer nahm sprunghaft zu; die Stadt hat Pop-up-Fahrradwege eingerichtet, Fahrradspuren auf die Straße gemalt und Poller aufgestellt. Einige von ihnen haben Corona überlebt, andere werden bereits wieder von den Autos in Beschlag genommen. Wir Fahrradfahrer müssen um jeden Fahrradweg kämpfen, damit er erhalten wird.

Vor ein paar Wochen sah ich zum ersten Mal in 20 Jahren, wie ein Polizist einen Autofahrer zurechtwies, der auf einem Radweg parken wollte. Ich habe mich gefreut wie eine Schneekönigin.

Straße in Lima 1996. Seitdem hat sich an der Situation für Fahrradfahrer wenig geändert Foto: El Comercio/ZUMA PRESS/imago

Warum nun gerade Deutschland die Fahrradwege in Peru bezahlen soll? Sicher kommt es auch dem Klima zugute – und damit letztlich auch uns allen –, wenn weniger Menschen in Peru Auto fahren.

Mal abgesehen davon, dass die deutsche Bundesregierung an den Krediten für die Fahrradwege verdienen wird: Dass Solidarität nicht an der deutschen oder EU-Grenze aufhört, ist ein Grundpfeiler unserer westlichen Werte. Wenn wir den aufgeben, können wir gleich Trump wählen: Germany first.

Wenn es der deutschen Kuh schlecht geht, dann sicher nicht, weil die deutschen Steuerzahler ein paar Millionen Euro für Fahrradwege in Peru ausgeben, sondern weil sie seit Jahrzehnten Milliarden in eine falsche Agrarpolitik gesteckt haben. Wir Fahrradfahrer in Peru sind dafür der falsche Sündenbock.