: „Fast niemand kann vollendet Horn spielen“
DER BLÄSER Klaus Wallendorf ist Gebrauchslyriker, Conférencier und Kabarettist. Sein täglich Brot verdient er aber als Waldhornist bei den Berliner Philharmonikern. Das Instrument mit dem Trichter begleitet ihn seit Jahrzehnten überall hin – selbst im australischen Regenwald hat er es schon zum Üben ausgepackt. Kein Wunder, dass auch seine humoristische Leidenschaft immer mit Musik zu tun hat
■ Der Musiker: Klaus Wallendorf wurde 1948 in Thüringen geboren, am 22. November, dem Tag der Hausmusik. Mit 16 Jahren gewann er mit seinem Waldhorn den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ und bekam sein erstes Orchesterengagement. Er war unter anderem Solohornist beim Bayerischen Staatsorchester und beim Orchestre de la Suisse Romande, bevor er 1980 festes Mitglied der Berliner Philharmoniker wurde. Heute spielt er dort das dritte Horn, daneben musiziert er bei German Brass, im Blechbläserquintett der Berliner Philharmoniker und dem Ensemble der „Lachmusiker“ zwischen „philharmonischem Unernst und virtuosen Albernheiten“.
■ Der Philharkomiker: Wallendorf betreut die Berliner Philharmoniker und einige Kammermusikensembles als „Gelegenheitsliterat, Gebrauchslyriker, Moderator und halboffizieller Entertainer“, überbringt Glückwünsche und überbrückt Pausen.
■ Der Autor: Am 20. April war die Buchvorstellung von „Immer Ärger mit dem Cello“, einer „Liebeserklärung eines irrenden Waldhornisten an die streichenden Kollegen“, das im Mai im Galiani Verlag Berlin erscheint. Am 21. Mai liest Wallendorf im Kulturkaufhaus Dussmann aus seinem Buch.
■ Der Mensch: Wallendorf ist in zweiter Ehe glücklich verheiratet und lebt mit Frau und dreijährigem Sohn in Schöneberg. Seine Nachbarn wünschen sich, dass er öfter zu Hause übt.
INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN FOTOS ROLF ZÖLLNER
taz: Herr Wallendorf, Sie sind als Musiker ein Hansdampf in allen Gassen: Sie spielen seit über 30 Jahren Waldhorn bei den Berliner Philharmonikern. Außerdem treten Sie als „halboffizieller Entertainer“ auf und überbrücken Pausen mit kurzweiligen Einblicken ins Orchesterleben oder überbringen Glückwünsche. Jetzt haben Sie auch noch ein Buch geschrieben: „Immer Ärger mit dem Cello – Liebeserklärung eines irrenden Waldhornisten an die streichenden Kollegen“. Woher kommen diese unterschiedlichen Leidenschaften?
Klaus Wallendorf: Die Mischung hat sich ergeben und die Leidenschaft für Texte wurde erst allmählich eine. Es fing damit an, dass ich statt sinnloser Geschenke kleine fiktive Radiosendungen für Freunde und Verwandte gemacht habe, in denen ich meine Lieblingsmusik mit Ansagen verband. Mitte der 80er Jahre kam ich dann in die Gruppe German Brass, das sind zehn Blechbläser, und da wurden Texte gebraucht, um die Zeit für die Umbauten zu überbrücken und den Trompetern ein paar Minuten Pause zu verschaffen, damit sie wieder Blut in die Lippen bekommen. In einem Anfall von Gemeinsinn habe ich später bei den Berliner Philharmonikern ein Amt übernommen, bei dem ich versuche, gefürchtete Würdigungen wie Geburtstage, Jubiläen, Ehrungen für Dirigenten oder Pensionierungen leichtfüßiger zu machen.
Und wie machen Sie das?
Indem ich versuche, die Würdigungen heiter, aber nicht lustig, respektvoll, aber nicht pathetisch, kurz, aber nicht lieblos, einigermaßen kunstvoll, aber nicht bemüht zu halten. Manches davon ist gereimt, so ein bisschen in Wilhelm-Busch-Manier.
Wie kam es, dass Sie zur Würdigung der „12 Cellisten der Berliner Philharmoniker“, die im Mai ihr 40-Jähriges feiern, unter die Buchautoren gegangen sind und ihnen ein von F. W. Bernstein illustriertes literarisches Denkmal gesetzt haben?
Durch die Vielzahl dieser Würdigungstexte bekam ich im Orchester im Lauf der Jahrzehnte einen gewissen Ruf als rhetorische Fachkraft. Erste Anregungen zu einer Jubiläumsdruckschrift kamen von Georg Faust und Martin Menking von den 12 Cellisten. Es ist also so etwas wie ein Auftragswerk.
Welche Bedeutung hat das Buch für Sie als Musiker?
Es ist wie eine Etüde, weil ich so etwas in dem Umfang noch nicht gemacht habe.
Erleben Sie etwas als Unterhalter, was Sie als Musiker nicht erleben?
Ich genieße den Publikumsbonus für beide Tätigkeiten. Aber beim Sprechen gibt es im Unterschied zum Hornspielen keine nervliche Belastung. Möglichst fehlerfrei in feierlicher Atmosphäre Horn zu spielen ist schwer. Beim Horn weiß man nicht, ob der Ton, den man reinspielt, auch hinten rauskommt.
Wieso weiß man das nicht?
Physikalisch kann ich das nicht erklären. Je höher die Töne sind, umso enger liegen die Naturtöne beisammen. Man weiß schon ungefähr, was für ein Ton rauskommt. Eine gewisse Fehlerquote gibt es aber immer, auch bei den allerbesten Hornmeistern. Ich finde das durchaus sympathisch. Ein Hornkiekser, so nennen wir das, ein Patzer, ein kleiner Gurgler ruiniert zwar kein Werk vollständig. Trotzdem gibt es kaum etwas Peinlicheres. Komischerweise kann fast niemand richtig vollendet Horn spielen.
Sie spielen auch im Ensemble „Lachmusik“, das eine Gratwanderung hinlegt zwischen „philharmonischem Unernst und virtuosen Albernheiten“. Dabei spielen Sie etwa eine „U-Bahn-Polka“, bei der die Namen der U-Bahn-Stationen in Tokio mit musikalischer Begleitung aufgesagt werden. Wie ist dieses Ensemble entstanden?
Das kam durch den inzwischen verstorbenen philharmonischen Cellisten und bildenden Künstler Christoph Kapler. Der hatte Verbindungen zur Bar jeder Vernunft und meinte, er würde gerne mal mit mir und einigen scherztauglichen Kollegen dort was machen. Das ist etwa zwanzig Jahre her. In unserer Kabarettgruppe verbinde ich alle Stücke, die die Kollegen so anschleppen, mit meinem gesammelten Blödsinn. Diese Mischung gibt es offenbar nicht so oft. Hin und wieder treten wir noch immer in der Bar jeder Vernunft auf, aber es könnte ruhig öfter sein. Es ist für beide Seiten, für das Publikum und für uns Musiker, ein schönes, lockeres Profil. Loriot hat einmal gesagt, dass ein heiterer Text nichts in noch so ernster Musik beschädigt.
Wie kamen Sie überhaupt zum Waldhorn?
Mein alter Musiklehrer Herr Müller, den ich noch gelegentlich treffe, hatte seinen Schülern von unserem Gymnasium in Düsseldorf zwei Hörner von der Jugendmusikschule anzubieten. Ich war so elf, zwölf Jahre alt und habe mich einfach gemeldet. Es war also eher ein Zufall. Aber ein glücklicher Zufall.
Hat Ihnen das Instrument als Kind sofort zugesagt?
Mein erster Lehrer, der hieß Witz, war Mitglied der Düsseldorfer Symphoniker und ein wunderbarer Motivierer. Der hat uns auch in Konzerte geschleppt.
Kommen Sie aus einem musikalischen Elternhaus?
Meine Eltern waren beide bei der Post und eher unmusikalisch.
Dabei passt das Horn doch wunderbar zur Post!
Stimmt. Als ich anfing, Posthorn zu spielen, waren meine Eltern allerdings schon in anderen Berufen beschäftigt.
Was bedeutet Ihnen das Waldhorn?
Es hat viele Interessen freigesetzt. Vor allem hat es mich sehr beschäftigt, weil es mir anfangs sehr schwer vorkam, bis ich einen einigermaßen erträglichen Ton herausbringen konnte. Möglicherweise war diese Hürde nötig. Das Horn hat mir auch über die schwierigen Pubertätsjahre geholfen. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, konnte ich immer nach Hause und Horn üben.
Konnten Sie Mädchen oder junge Frauen mit Ihrem Waldhorn beeindrucken?
Nee. Hornistinnen vielleicht (lacht). Ich hatte schon auch Phasen, wo ich dachte, ich verpasse etwas und sollte vielleicht besser Kunsthistoriker oder Reporter werden. Manchmal war ich kurz davor, das Horn in die Ecke zu werfen, aber nie für immer. Mit 16 gewann ich dann den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ und ging kurz darauf in ein Orchester.
Wenn das Waldhorn ein Mensch wäre – wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Robert Schumann hat gesagt, das Horn sei so etwas wie die Seele des Orchesters. Das kommt ganz gut hin. Ich empfinde das Horn auch ein bisschen als Kumpel. Es kann aber auch sehr edel sein. In der Filmmusik, wenn es heldisch oder lyrisch klingen soll, wird es gern bei Rittern eingesetzt, sogar bei den „Rittern der Kokosnuss“. Das Waldhorn ist für mich auf jeden Fall eine Zuflucht. Ich könnte, wenn ich fies sein wollte, zu meiner Frau sagen, ich müsse üben – auch wenn ich gar nicht üben muss. Das mache ich aber nicht. Das Horn war und ist mir auch eine Hilfe, wenn ich allein bin. Natürlich gehe ich nicht mit dem Horn ins Bett. Aber ich fahre mit meinem Fürst-Pless-Horn, das Jäger zum Anstimmen der Jagdsignale benutzen, in den Urlaub. Es ist sozusagen mein First-Place-Horn (lacht).
In Ihrem Buch schreiben Sie, wie Sie mit Anfang 30 bereits auf fünfzehn Dienstjahre als Orchestermusiker zurückblickten und ein „unbestimmtes Sehnen nach Veränderung“ verspürten – „nach einem ganz tollen Orchester vielleicht, noch tolleren Dirigenten, nach einem Anteil am Weltruhm“. Hat sich dieses Sehnen nach mehreren Jahrzehnten bei den Berliner Philharmonikern erfüllt?
Ach ja, das schon. Ein Orchestermusiker ist auch ein Dienstleister, aber man kommt ganz schön rum in einem ansehnlichen Gewerbe. Eigentlich hatte ich keinen Grund, von der Bayerischen Staatsoper wegzugehen, wo ich erster Hornist war. Aber der Nimbus der Berliner Philharmoniker und natürlich der Name Karajan schienen mir selbst von München aus noch eine Steigerung in Richtung kompromissloser Qualitätsanspruch zu sein.
Sie haben in der Bayerischen Staatsoper das erste Horn gespielt, bei den Philharmonikern sind Sie dritter Hornist. „Heute betrachtet man mich mit einem gewissen Mitleid als quasi gescheiterte Musikerexistenz“, ist in Ihrem Buch zu lesen. Ist das Koketterie oder wurmt es Sie, dass Sie es nicht zum zweiten oder gar ersten Horn bei den Berliner Philharmonikern gebracht haben?
Koketterie ist es hoffentlich nicht – ich bin gut aufgehoben am dritten Horn. Am ersten Horn hätte ich es nicht stetig über Jahrzehnte hinweg in der nötigen Mühelosigkeit und Souveränität geschafft.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Ihre Bewunderung für die Musiker der Philharmoniker, lange bevor Sie selbst Mitglied wurden. „Wenn wir Gelegenheit gehabt hätten, wir hätten den Gipsabdruck vom Hinterreifen eines Philharmoniker-Autos gegen unsere damalige Kücheneinrichtung eingetauscht“. Nachdem Sie nun selbst schon so lange dabei sind – ist der Wunsch nach Devotionalien geblieben oder hat sich die Bewunderung relativiert?
Diese Formulierung war vielleicht ein bisschen kokett. Der Vergleich mit dem Gipsabdruck hat mir halt gefallen. In Wirklichkeit habe ich – außer Fußballerbildern in meiner ausklingenden Kindheit – nie wieder Fanartikel gesammelt. Aber ein Berliner-Philharmoniker-Fan war ich trotzdem.
Sie nennen die Musik „einen Werkstoff“. Was meinen Sie damit?
Musik ist für mich ein äußerst angenehmer, variabler, geradezu unerschöpflicher Werkstoff. Vielleicht machen sich viele Menschen gar nicht die Mühe, einmal zu testen, was es alles für Musik gibt. Ich bin ja auch ein bisschen gefährdet, in den gewohnten Hörvorräten stecken zu bleiben – aber viele andere sicher noch viel mehr, sonst würden sie nicht dieses viele öde Zeug anhören, das aus der Glotze oder dem Radio kommt. Ich empfinde das als eine überflüssige Verarmung. Viele Menschen sind nicht von Haus aus anspruchslos, sie werden nur so.
Wofür kann Musik gut sein?
Ich denke, Musik kann so etwas wie heilen. Natürlich keine schweren Krankheiten. Aber wenn man als Hörer die richtige Musik gefunden hat, kann man sein jeweiliges Befinden in die entsprechende Richtung lenken. Entweder um den Genuss zu verstärken, wenn man außer sich ist vor Glück und Freude. Oder um das Gemüt, die Seele zu trösten, wenn es einem schlecht geht.
Wann war Ihnen die Musik zuletzt ein guter Begleiter?
Heute früh unter der Dusche! Da höre ich gern „Radio Swing Worldwide“, Musik aus den 1930er Jahren. Die ist super entspannt und verstärkt das Wohlbefinden. Mit Hip-Hop oder Techno komme ich nicht zurecht.
Am Ende Ihres Buches heißt es, Sie konzipierten einen Reiseführer „für den reisenden Musiker, der den Künstlereingang nicht findet“. Aufgelistet werden sollen darin auch die kürzesten Entfernungen vom Konzertpodium oder Orchestergraben zum nächsten Imbiss oder Kneipentresen. Im Ernst?
Na ja, viele Tourneemusiker – egal ob sie klassische oder Unterhaltungsmusik machen – wüssten an Spielorten ohne Kantine eben gern, wo sie nach oder auch schon mal vor der Arbeit einen trinken gehen können. Ich habe auch schon mal einen „Welt-Übe-Führer“ angefangen.
Was ist das denn?
Da geht es um Plätze zum Üben und wie man dort samt Horn hinkommt, auf dem man ja immer üben muss. Ich habe schon an den ulkigsten und schönsten Plätzen geübt: auf Hochsitzen, im Regenwald von Australien oder auf einem Fels in Griechenland.
Gefallen Ihnen nur die Stimmung und Stille im Wald oder interessieren Sie sich auch für die Jagd?
Nee, Jagen interessiert mich überhaupt nicht. Ich sitze nur gerne auf einem Hochsitz und übe. Nur die Jäger mögen das nicht so gern (lacht).