Die Plattenkiste ist okay

UNAUFDRINGLICH David Chotjewitz inszeniert in der Hamburger Hafencity seine 68er-Kindheit mit „Narziss und die Revolution“

VON ROBERT MATTHIES

Im weißen Anzug begrüßt David Chotjewitz im Treppenhaus der Hamburger Hafencity-Hochschule am Freitag seine Gäste. Schließlich stehen er und sein autobiografisches Projekt „Narziss und die Revolution“ im Rampenlicht. Und damit auch seine Eltern, die Publizistin Renate Chotjewitz-Häfner und der 2010 gestorbene Vater: Peter O. Chotjewitz. Anwalt von Andreas Baader und Peter-Paul Zahl, literarischer Tausendsassa, Übersetzer, leidenschaftlicher Fürsprecher spätrömischer Dekadenz und Boheme-Exzentriker.

Und die Zeit, deren Spross der 68er-Sohn ist: eine Kindheit in Rom zwischen Künstlern und Hippies, kubanischen Revolutionären und deutschen Stadtguerilleros, mit denen der kleine David und sein Bruder Lenin Räuber und Gendarm spielen. Rolf-Dieter Brinkmann geht ein und aus und Ingeborg Bachmann, stets „ein bisschen abgehoben, denn wie fast alle hier nimmt sie Aufputsch- und Schlafmittel“. Für die Kinder interessiert sich niemand. Später dann der Deutsche Herbst in einer Landkommune im hessischen Dorf Kruspis. Aber um 68er und RAF soll es heute Abend nur gehen, „wo etwas mir eigenes daraus entstand“. Und so übt sich das Revolutions-Kind in theatraler Selbstdefinition, um der Etikettierung „68er-Kind“ zu entgehen.

Belebung der Gegenwart

Nicht bloß um den eigenen Narzissmus soll es gehen und schon gar nicht um Befreiung von oder Abrechnung mit der Elterngeneration. Sondern um die Möglichkeiten des Autobiografischen, auch und gerade im Theater: das Spielen der eigenen Rolle und das Heraustreten aus den Zwängen der eigenen Geschichte, die Verwirklichung aller möglichen Alter Egos: „Ich, das war ein anderer.“ Selektiv und fragmentarisch ist der Abend konzipiert, sich wiederholen, überschneiden, von sich abweichen soll die Erinnerung, keine Wiederbelebung der Vergangenheit sein, sondern Belebung der Gegenwart: In kurzen autobiografischen Texten hat Chotjewitz – heute selbst Schriftsteller und Theatermacher, der sich vor allem mit biografischen Romanen einen Namen gemacht hat – zurückgeblickt. Die entstandenen Fragmente hat er dann anderen in die Hand gegeben, mit denen nun eine gemeinsame inszenierte Party in verschiedenen „Räumen der Erinnerung“ gefeiert werden soll.

Und so gibt es gleichzeitig verschiedene Erzählungen zu entdecken: Im Keller spielt der Schauspieler Joachim Kappl ein Chotjewitz’sches Alter Ego, in einem „Aquarium“ erinnert sich derweil Silvana Suarez Cedeno tänzerisch, während David Chotjewitz selbst in seiner szenischen Lesung „Archiv I–III“ etwa erzählt, wie weit die den Kindern überlassene Verantwortung für die Katze ging: all die kleinen Kätzchen, die sie plötzlich geworfen hat, musste der Neunjährige ertränken. Ted Gaier tritt nebenan als Zeitzeuge auf, der Filmemacher Henna Peschel hat einen Kurzfilm über das Verhältnis von Chotjewitz zum Fotografen Gunter Rambow beigesteuert, der dem kleinen David einst bei den Hausaufgaben geholfen hat, und zwei Kinder interviewt.

Katharina Oberlik lässt zwei Strumpfpuppen die letzten Telefonate zwischen Sohn und Vater führen. An einer knappen, ausdrücklich nachmittags noch schnell vorformulierten theoretischen Einschätzung übt sich schließlich der queere Wiener Tier-Theoretiker Fahim Amir, der über all die großen Vs, spricht, die er am Werke sieht: Verschiebung vor allem, aber auch das doppelte VV für Victory, das doppelte V für die beiden übermächtigen Vaterfiguren, das Vergessen, den Verrat, den Verstoß durch die Familie. Dann klingt der Abend mit Boleros und einem aus voller Kehle Schlager schmetternden Chotjewitz im Hausmeisterkabuff aus. Zumindest hier war Identifikation mal positiv möglich: über die väterliche Plattenkiste und ihre italienischen Evergreens, kubanischen Boleros, Glamrock, Punk und Salsa.

Diaschau unter Freunden

Heraus kommt ein trotz allen unvermeidlichen Fallstricken des Narzissmus unaufdringlich leiser, freundlicher und persönlicher Abend, eine Diaschau unter Freunden eher als die lautstarke Party einer Uni-Besetzung. Interessante Motive gibt es dabei zuhauf, wenn man genau hinsieht und auf die kleinen Brüche achtet, die sich zwischen den Generationen, Fremd- und Selbstdefinitionen ergeben.

Oft hat man allerdings den Eindruck, dass hier nur die ersten Schritte einer gemeinsamen Annäherung gegangen wurden und den einzelnen Biografie-Schaukästen ein wenig mehr Bezug aufeinander gut getan hätte. Den eigenen Ansprüchen wird Chotjewitz’ Bruchstück-Sammlung damit nicht immer gerecht.