berliner szenen: Loriot-Moment mit Joggerin
Ich laufe den Parkweg am Teltowkanal entlang, meine Augen brauchen dringend eine Pause vom ewigen Bildschirm und genießen spürbar den weiten Blick. Die Sonne steht schon tief und legt ein goldenes Licht über die frostige Landschaft. Ich wollte nur kurz rausgehen, jetzt bin ich schon zwei Stunden unterwegs und kann mich kaum trennen von diesem Draußen. Ständig muss ich anhalten und die Spiegelungen auf dem Wasser fotografieren, die aussehen wie von Monet gemalt. So kitschig, dass ich nachher zögern werde, die Bilder zu teilen, weil mir jeder unterstellen würde, ich hätte es mit irgendwelchen Filtern übertrieben.
Ich verstaue also mein Handy in der Tasche und hebe meinen Blick. Am blauen Himmel zieht ein Falke seine Kreise. Radfahrer mit weißen Atemwolken quälen sich über die Schotterpiste, eine junge Frau joggt an mir vorüber. Als sie genau auf meiner Höhe ist, blickt sie mich plötzlich sehr ernst an und sagt sehr laut und bestimmt: „Ich jogge gerade!“
Ich zucke zusammen, dann muss ich lachen, so absurd ist der Moment, doch da ist sie auch schon vorüber und sieht sich nicht einmal mehr um.
„Ich jogge gerade!“, wiederhole ich in meinem Kopf. Der affektierte Tonfall erinnert mich an Loriot, „Mein Name ist Lose, ich jogge hier.“
Dann fällt der Groschen. Vermutlich, reime ich mir zusammen, hatte sie einen Knopf im Ohr und just in dem Moment gerade ein Gespräch angenommen. Es gibt ja so viele Menschen, die beim Telefonieren irgendwie abschalten und nicht so richtig mitbekommen, wen sie dabei gerade anschauen und verstören. Ja, so wird es gewesen sein. Immer noch lächelnd mache ich mich auf den Heimweg. Diverse Menschen lächeln zurück. Die Tageslichtlampe hat heute frei. Ich glaube, ich besuche es jetzt öfter wieder, dieses Draußen. Susanne M. Riedel
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