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Die Essenz eines Films

Grafische Zuspitzungen: Eine Ausstellung über Filmplakate im Kulturforum zeichnet rund 130 Jahre Kinogeschichte nach

Von Ralph Trommer

Das Bild ist zugleich anziehend wie abstoßend: Es zeigt das hell angestrahlte Gesicht einer jungen Frau, auf deren Mund ein großer Nachtfalter sitzt. Dessen Zeichnung erinnert an einen Totenkopf, und die irritierend rotgefärbten Augen der Frau korrespondieren mit der roten Schrift des Filmtitels „Das Schweigen der Lämmer“.

Ein Filmplakat enthält im Idealfall die Essenz eines Kinofilms und versteht es, die Neugier eines potenziellen Publikums für diesen zu wecken. Im Falle des Thrillers von 1991 ist das gelungen: Das Motiv zeigt die von Jodie Foster gespielte FBI-Agentin Clarice Starling, die den Kampf mit einem Serienkiller aufnimmt. Dieser steckt seinen Opfern einen „Totenkopfschwärmer“ in den Mund. Das Plakat nimmt die makabere Stimmung des Thrillers vorweg.

Die Ausstellung „Großes Kino. Filmplakate aller Zeiten“ zeigt 300 originale, internationale Filmplakate aus der Sammlung Grafikdesign der Berliner Kunstbibliothek. Die Stücke (kuratiert von Christina Thomson, Leiterin der Sammlung, und Christina Dembny) geben einen Überblick über die spezifische Kunst des Filmplakats, die mit der Entstehung der Filmkunst um 1900 aufkam.

Eines der ältesten Ausstellungsstücke ist eine Werbung für die Kurzfilmprogramme der französischen Pathé-Filmfabrik von 1908. Die farbige Lithografie wurde vom belgischen Illustrator Gus Bofa entworfen. Er zeichnet eine sehr bunte Gruppe von Figuren, die sich vor einer Pathé-Werbung versammelt. Neben Bürgern, einem Soldaten und einem Pagen finden sich darunter auch damals populäre Unterhaltungsfiguren wie Madame Butterfly, der schwarze Showstar Chocolat und die Comicfigur Bécassine als kleines Mädchen in bretonischer Tracht.

Allmählich wurden die Filme länger und bekamen eigene Plakate, die bekannte Künstler gestalteten. Eine besondere Blütezeit stellten die 1910er und 1920er Jahre dar. Die mal in pathetischer, mal in komischer Ausdruckspose gemalten ersten Stars wie Asta Nielsen, Charles Chaplin oder Buster Keaton dominierten viele Plakate und lockten die Zuschauer. Das Plakat zu Paul Wegeners „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) zeigt hingegen eine märchenhafte, verzerrt gemalte Stadtansicht: das alte jüdische Viertel Prags. Gestaltet wurde es von dem Architekten Hans Poelzig, der auch selbst die expressionistischen Kulissen des Films schuf.

Zum Konzept der Schau gehört, dass 26 Gäste aus der deutschen Filmszene dazu eingeladen wurden, ein Lieblingsplakat auszuwählen. Filmemacherin Ulrike Ottinger wählte den „Golem“ und begründete es so: „Es erfasst – wie eine prägnante Formel – das Thema des Films. Selbst wenn man den Inhalt nicht kennt, begreift man intuitiv, das da etwas Geheimnisvolles geschieht, etwas Dunkles, Düsteres“.

Zu F. W. Murnaus „Faust – eine deutsche Volkssage“ (1926) schrieb die UFA gar einen Plakatwettbewerb aus, bei dem Karl Michel den Kern des Films traf und auch gewann. Seiner an mittelalterliche Buchillustrationen erinnernden Interpretation des Stoffes stellt das Kulturforum den Wettbewerbsbeitrag von Marie Louise Mammen gegenüber, der eine Hexenverbrennung zeigt und in seiner expressiven Farbigkeit ebenfalls ein würdiges Plakat abgegeben hätte.

Eine ganze Reihe der Stücke aus der Nachkriegszeit stammen von Hans Hillmann, der viele Wiederaufführungsplakate von Klassikern in den 60ern gestaltete und einen eigenen minimalistischen Stil prägte. Seine Version des „Panzerkreuzer Potemkin“-Plakats zeigt zwei schwarze Kanonenrohre auf weißem Grund – eine dichtere grafische Zuspitzung von Sergej Eisensteins Revolutionsfilm von 1925 erscheint kaum denkbar.

Alternative Entwürfe aus der DDR oder Polen müssen sich nicht hinter Origi­nalen verstecken

Die ausgewählten Stücke, die sich über zwei Etagen Ausstellungsfläche erstrecken, geben einen Überblick über rund 130 Jahre Filmgeschichte und deren grafische Abbilder. Ikonische Motive wie Stanley Kubricks kreisförmige Raumstation aus „2001 – Odyssee im Weltraum“ dürfen nicht fehlen, doch gibt es auch viele alternative Entwürfe aus der DDR oder Polen (bekannt für seine Plakatkunst), die sich nicht hinter den Originalplakaten verstecken müssen. Eine DDR-Plakatvariante zum ersten „Star Trek“-Film von 1979 (von Regine Schulz, Burckhard Labowski) etwa zeigt ein flirrend farbiges Street-Art-Porträt der zentralen Figur Mr. Spock.

Das bedrohliche wie einprägsame Motiv des in der Meerestiefe lauernden Ungeheuers auf dem Plakat „Der weiße Hai“ (1975) signalisiert den aufkommenden Blockbuster: Auf ein großes Publikum zugeschnittenes Eventkino versetzte dem zuvor blühenden US-Independentkino den Todesstoß. So sind auch die vorgestellten neueren Beispiele amerikanischer Filmplakate (unter anderem „Avatar“) meist stromlinienförmig und austauschbar – Photoshop macht’s möglich. Die abwechslungsreiche Schau wird abgerundet durch Beispiele handgemalter Plakate von Götz Valien, der viele Plakatmotive maßstabsgetreu auf Fassaden der Yorck-Kinogruppe übertrug.

Nicht selten regen die gut ausgesuchten Exponate die Erinnerung an selbst gesehene Filme an, die sie oft so fantasievoll und pointiert vorwegnehmen.

„Großes Kino. Filmplakate aller Zeiten“: Kulturforum. Bis 3. März 2024

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