: „Wie beim Asta“
BIENNALE Das Festival hat mehr zu bieten als zeitgenössische Kunst: Occupy verweilt im Zelt
Die Biennale hat eröffnet. Da muss ich als Kunstsachverständiger, der wir ja alle irgendwie sind, unbedingt hin. Aber der Weg ist beschwerlich. Die U 8 bleibt vor der Jannowitzbrücke stecken. Ich sehe besorgt hoch. Vor mir sitzt eine Frau. Ihr apathischer Gesichtsausdruck beruhigt mich. Dann geht auch noch das Licht aus. Die Frau nimmt das gar nicht zur Kenntnis. Der U-Bahn-Fahrer gibt durch: „Keene Panik. Geht gleich weiter.“ Stimmt sogar. Trotzdem gut, dass ich keine Fahrkarte habe. Zwei Euro dreißig wären für diesen Service jedenfalls überbezahlt.
In der Auguststraße verdichtet sich das Volk der Künstler. Die Gehsteige sind mit Fahrrädern vollgestellt, man muss als Fußgänger die Straße benutzen. Ein Palästinenser, den ich als Palästinenser identifizieren kann, weil er sich ein Palästinensertuch um den Kopf geschlungen hat und unrasiert ist, steht in der Straßenmitte und lässt ein Erinnerungsfoto von sich machen. Vor dem Tor der Kunst-Werke ist Großauflauf, und ich stecke mittendrin. Ein Mann mit Glatze und nicht ganz so groß wie das Brandenburger Tor, aber ungefähr so breit, sagt: „Moment mal!“, und schneist sich durch die Leute, die sich wie Grashalme nach links oder rechts biegen. Security, denke ich, aber auf was will der Mann aufpassen? Auf Occupy?
Die hat sich in einem großen Raum niedergelassen. Geht man von dem mit Kunstsachverständigen vollgestellten Hinterhof ins Gebäude, kommt man auf eine Brüstung, von der aus man nach unten auf Occupy gucken kann. Eine schöne Aussicht. „Sieht ein bisschen aus wie früher im Büro eines linken Asta“, sagt ein Kunstkurator aus Frankfurt zu mir. Er befürchtet, dass er zu alt ist, um das zu verstehen. Das ist auch gar nicht so einfach, denn der Raum ist ja nicht besetzt, sondern zur Verfügung gestellt. Man tut also nur so. Vielleicht besteht darin ja die Kunst? Mit Performern, aber ohne Performance. Es steht sogar ein großes Zelt da, aber ich glaube nicht, dass es hier regnen wird. Es sitzen zwei Leute drin und gucken raus.
An einem großen Tisch mit vielen Flugblättern, Plakaten und sonstigem Papier, auf das meistens Parolen wie „Occupy“ oder „Revolution“ gemalt sind, ist eine Frau mit roter Steppjacke sehr beschäftigt, unter anderem mit dem Verrücken von Regalen, in denen sich auch T-Shirts befinden. Sie sieht sehr ernst aus und hat einen verhärmten Gesichtsausdruck. Früher war sie sehr berüchtigt. Wenn sie mit ihrer weinerlichen Stimme auf politischen Veranstaltungen der Autonomen das Wort ergriff, wurde das meistens als Zeichen gewertet, jetzt mal so langsam aufzubrechen und ein Bier trinken zu gehen. Ich schätze mal, dass sie einen sehr unnachgiebigen und harschen Antiimperialismus vertreten hat, aber um das beurteilen zu können, habe ich ihr zu wenig zugehört.
Ein oder zwei gefühlte Jahrzehnte später traf ich sie wieder, auf einer Diskussionsveranstaltung, wo Henryk M. Broder und Wolfgang Pohrt diskutierten. Sie verteilte vor dem Tempodrom Flugblätter, und als sie mich sah, sagte sie, ich sei vom Verfassungsschutz und daran würde man ja sehen, was das für eine Veranstaltung sei, nämlich eine vom Verfassungsschutz unterwanderte, wenn nicht gar finanzierte. Es rührt mich ein wenig, sie hier wieder anzutreffen und sie verfassungsschutzmäßig zu beobachten, wie sie geschäftig mit der Inszenierung von Occupy beschäftigt ist.
Die Kunstsachverständigen und Künstler im Hinterhof trinken Bier und rauchen. Ich auch. Überall wird Englisch geredet. Auch von mir, weshalb ich immer nur die Hälfte verstehe. Ich stehe mit einer Frauenkünstlergruppe zusammen, die sich Der Strich nennt. Das Verhältnis zwischen Freier, Hure und Zuhälter sei das gleiche wie zwischen Künstler, Sammler und Aussteller. Das gibt mir kurz zu denken. Dann gesellt sich eine kleine Künstlerin zu uns, die mir bis zum Bauchnabel geht. Ich meine jetzt von der Größe her. Sie malt Miniaturen, nicht größer als eine Briefmarke, sagt sie. Das passt doch gut, kalauere ich unkontrolliert, aber sie versteht mich nicht. Ich gehe lieber nach Hause. KLAUS BITTERMANN