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PolitikEin absurdes Paralleluniversum

Die „verrücktesten Politiker der Welt“ hätten sich verschworen, um Deutschland zu sabotieren, erzählen AfD-Abgeordnete beim „Bürgerdialog“ in Stuttgart-Bad Cannstatt. Sie prangern mangelnden Respekt an und pöbeln auf Kindergartenniveau.

Dirk Spaniel behauptet, ob der globale CO2-Ausstoß auf Null sinkt oder sich verdoppelt, sei irrelevant. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Minh Schredle

Bevor die Abgeordneten der AfD von ihrer Liebe zum deutschen Volk und zum deutschen Auto reden können, kommt es zur Störung im Betriebsablauf. Auf der A81 gab es eine Massenkarambolage, noch fehlen der Moderator sowie Malte Kaufmann, MdB aus Mühlhausen bei Heidelberg. Es ist kurz nach 19 Uhr am Freitag, dem 27. Oktober. Die Rechtsaußen-Partei mit Umfragewerten von 20 Prozent in Baden-Württemberg hat in den Cannstatter Kursaal geladen.

Eine handvoll Stühle ist noch frei und zwei Gäste überlegen, ob das an der Wagenknecht liegt? „Die zieht bestimmt viele“, murmelt eine grimmige Dame und äußert ihren Verdacht, dass die ganze Sache ein abgekartetes Spiel sei: Der Streit in der Linken nur vorgegaukelt, um der AfD zu schaden. Ihr Gesprächspartner, ein Mann Anfang 30, findet die These plausibel. Immerhin sei der „Regenbogenfaschismus“ inzwischen überall. Er bedauert, dass ein heterosexueller Weißer heute keine Führungskraft mehr werden könne, das habe er am eigenen Leib erlebt.

Mit etwa 20 Minuten Verspätung trifft Andreas Mürter vom Kreisverband Stuttgart ein, gelernter Maschinenbaumeister und erfolgloser Kandidat bei der Landtagswahl 2021. Er übernimmt die Moderation an diesem Abend, entschuldigt sich für den Verzug. Höllenstau auf der Autobahn. „Auch Umwege fahren funktioniert in Deutschland nicht mehr, weil die Seitenstraßen alle zu sind im Industriekernland. Dann fahr ich nach Stuttgart rein: alle Ampeln rot, weil die Regierung grün ist.“

Dieser Witz gefällt ihm so gut, dass er ihn nur ein paar Sätze später wiederholt. Die Regierung habe sich „ersichtlich gegen den Willen des deutschen Volkes verschworen“, werde „Verbrennungsmotoren abschaffen, den Menschen ihr Auto wegnehmen, Arbeitsplätze vernichten und den Wohlstand unseres Landes vollständig auflösen“.

Mürters Laune bessert sich, als er den ersten Redner anmoderieren kann, „unseren Dirk Spaniel“. Das Verlesen des Lebenslaufs verläuft dann etwas holprig, beim Auflisten der Stationen streut der Moderator die aufrichtig irritiert klingende Frage ein: „Öh, was hat der alles gemacht?“ Bis schließlich als Krönung der Vita die Dissertation im Fach Maschinenbau bei DaimlerChrysler folgt. Mürters Kommentar: „Doktor Ingenieur – die Grünen würden von so einer Vita träumen, allesamt.“

Merkel und die Grünen lassen ihnen keine Ruhe

„Wir erleben eine irre Politik“, beginnt Spaniel dann und als verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion macht er diesen Wahnsinn konkret fest am beabsichtigten Verbot von Verbrennungsmotoren, Folge „der Klimahysterie“. Er erzählt vom jüngsten Bericht des Weltklimarats, „der hat 2.500 Seiten auf englisch, den müssen sie nicht lesen“. Spaniel hat nämlich eine kompakte Zusammenfassung auf deutsch entdeckt, erster Kritikpunkt: Es wird ja gar nicht geprüft, ob es den menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt, weil die Themen von der UNO gesteuert werden. Trotzdem hat er die verschiedenen Szenarien unter die Lupe genommen und kommt zum Fazit: Ob die globalen Emissionen bis 2030 auf Null sinken oder sich bis 2040 verdoppeln, macht keinen nennenswerten Unterschied. „Wenn sie Null Co2 bis 2030 erreichen, haben sie bis 2040 1,5 Grad mehr. Und wenn sie das CO2 verdoppeln, haben sie 1,6 Grad mehr. Die Differenz zwischen ‚Wir machen uns komplett kaputt‘ und ‚Wir machen eigentlich, was wir wollen‘, ist 0,01 Grad.“

Der Doktor Ingenieur überlegt noch einmal: „Ne, 0,1 Grad. Also es spielt sich alles Realistische in einem ganz, ganz kleinen Temperaturfenster ab, das praktisch für alle von uns völlig irrelevant ist. Und warum kommt da keiner drauf?“ Vielleicht ja, weil Menschen mit Basiswissen zur Klimaforschung klar ist, dass sich jedes Hundertstel Grad bemerkbar macht und die Erhitzung des Planeten nicht einfach 2040 aufhört, wenn man bis dahin die Emissionen verdoppelt.

Doch weil Spaniel am Verständnis der Grundlagen scheitert, ist seine Laienanalyse Ausgangspunkt einer drastischen Diagnose: Die Politik der Regierung ist „mindestens fahrlässig, im schlimmsten Fall Sabotage“. Denn es gebe die „einfache Lösung“, am Verbrennungsmotor festzuhalten. „Wir sind die einzige Interessenvertretung des Autos im Land“, meint er und vollendet seine von Falschbehauptungen und Halbwahrheiten gespickten Ausführungen mit dem Bonmot: „Die Verlogenheit in der Politik, diese Heuchelei: Das ist der Grund, warum wir so wichtig sind.“

Niemand nimmt dieser Frau ihre Schweinshaxe weg

Moderator Mürter ist hellauf begeistert und kündigt nun „Mister Hammelsprung“ an. Jürgen Braun, Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Waiblingen, sorgte Ende 2018 für Schlagzeilen, als er die Beschlussfähigkeit des Bundestags anzweifelte, wenn auch ohne Erfolg. Braun war mal Ressortleiter der Themen Umwelt und Wirtschaft beim MDR und unterrichtete als Dozent Journalismus. Er ist überzeugt, dass Deutschland von „den verrücktesten Politikern der Welt“ regiert wird, denn eine „grüne Weltuntergangssekte“ sei an der Macht, nicht erst seit der Ampel: „Angela Merkel war die erste grüne Kanzlerin“, ohnehin werde ganz Deutschland insgeheim von den Grünen regiert. Wenn er Kretschmann hört, wird ihm schlecht, sagt Braun und versucht sich an einer Imitation, die eine Menge Gelächter unter den etwa 50 Anwesenden einheimst. Dann erzählt er das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Alle hätten mitgemacht, bis ein mutiges Mädchen die Wahrheit ausgesprochen hat. „Das ist der AfD-Moment“, meint Braun.

Zuletzt hat Katrin Ebner-Steiner ihren Auftritt, Abgeordnete im Münchner Landtag. Sie macht klar, dass ihr Robert Habeck nicht die Schweinshaxen wegnehmen wird. In breitem Dialekt arbeitet sie die Parallelen zwischen Schwaben und Bayern heraus: „Schwaben und Bayern können verdammt gute Autos bauen mit den besten Verbrennern der Welt.“ Die AfD wären die einzigen, die aufstehen gegen die regierende „Beutegemeinschaft der Abgehalfterten und Ahnungslosen“. Die Schwarzen seien im Inneren vergrünt, sagt sie über die politische Landschaft, und die Freien Wähler aus Bayern seien am Ende des Tages eben auch nur Systemlinge.

Eigentlich hätte auch noch der Abgeordnete Kaufmann reden sollen. Aber er muss sich entschuldigen. Obwohl seine Parteifreund:innen alles für die Autobahn tun, dieses angebliche Symbol der Freiheit, schaffte er es nach vielen Stunden im Stau nicht mehr in den Kursaal.

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