: Komplementärmedizin: Chancen und Grenzen
In der Onkologie wird die Komplementärmedizin, die einen ganzheitlichen Ansatz verspricht, kontrovers diskutiert. Sie gewinnt immer mehr Akzeptanz
Komplementär-, Alternativ- und Integrative Medizin – auf diese Begriffe stoßen Krebspati-ent:innen unweigerlich bei der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten über die schulmedi-zinischen Therapien hinaus. Dabei umfasst die Komplementärmedizin Verfahren, welche ergänzend zur konventionellen Medizin eingesetzt werden, um den Körper zu stärken und Nebenwirkungen der Schulmedizin abzumildern.
„Gute Komplementärmedizin in der Krebstherapie ist Teil der unterstützenden Maßnahmen, ohne die eine moderne Antikrebsbehandlung nicht durchführbar wäre. Außerdem sorgt sie durch ihre Patientenzentrierung für eine hohe Zusammenarbeit zwischen Therapeut, Arzt und dem Kranken, da sie den Patienten in der Eigenaktivität stärkt. Die Alternativmedizin wird hingegen anstatt der Schulmedizin durchgeführt und verzichtet damit auf das Wissen medizinischer Forschung“, erklärt Jens Büntzel, Leiter des Zentrums für HNO-Tumore am Südharz Klinikum (SHK). Als Teil einer Expertengruppe erarbeitete Büntzel die 2021 erschienene S3-Leitlinie „Komplementärmedizin“ für medizinisches Fachpersonal sowie die Patientenleitlinie (www.leitlinienprogramm-onkologie.de).
Gefahren bei Vitamin C
In beiden werden verschiedene komplementär- und alternativmedizinische Verfahren nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin analysiert. Etablierte Verfahren der Komple-mentärmedizin in der Krebsbehandlung sind zum Beispiel die Sport- und Bewegungstherapie, Teile der modernen Ernährungstherapie, Mind-Body-Medizin sowie ausgewählte Heilpflanzen, Akupunktur, Kampomedizin und Ayurveda. Teilweise zählen auch Nahrungsergänzungsmittel dazu. Doch gerade hier ist auch Vorsicht geboten: „Etwa die Einnahme von Vitamin C parallel zur Strahlentherapie birgt die Gefahr von Wechselwirkungen. Vitamin C mindert die Nebenwirkungen, allerdings funktioniert es als Radikalfänger und mindert so gleichzeitig die eigentliche Wirkung auf den Tumor – man muss dringend davon abraten“, erläutert Büntzel an diesem Beispiel auch Risiken der „sanften Medizin“.
Gute, kritische Beratung
Patient:innen haben, gerade im Rahmen ihrer Tumorbehandlung, grundsätzlich einen Anspruch auf Komplementärmedizin. Um einen individuellen Behandlungsweg zu finden, rät Büntzel dringend, Entscheidungen auf der Grundlage von Gesprächen mit ihren Onkologen zu treffen. Gute, kritische Beratung im Sinne der ganzheitlichen Behandlung biete etwa zertifiziertes Fachpersonal (Zertifikat der AG PRIO der Deutschen Krebsgesellschaft). Bei Kliniken, die aktiv mit Komplementärmedizin „werben“, scheint ihm hingegen Vorsicht geboten.
Die Integrative Medizin ist kein geschützter Begriff. Büntzel erklärt diese als eine „ganzheitliche Medizin, die neben den körperlichen Leiden und Gebrechen auch die seelische und soziale Auswirkung von Krankheit mitbehandelt.“ Überträgt man das WHO-Modell von Palliativmedizin auf die normale Krankheit, hieße es: „Integrative Medizin hat eine medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Seite zu behandeln.“ Gerade für die Onkologie sei das sehr wichtig. Anna Löhlein
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen