piwik no script img

Ganz nah am Publikum

Lutz Hübner und Sara Nemitz machen aus Zeitgeist Komödien. In „Was war und was wird“ an den Hamburger Kammerspielen transportieren sie das wohlige Gefühl, normal zu sein

Von Jens Fischer

Die Etikette des sozialen Anlasses wird mit höflicher Noblesse geteilt. Premiere an den Hamburger Kammerspielen. Unaufdringlich ausgehschick sind die Gäste designt, grüßen überfreundlich hier und dort, plaudern mit der ausgeführten Begleitung über die Parkplatzlage vorm Theater, während unsicher am Programmheft gefingert wird. Alle suchen ihren Sitzplatz – Anke (Nina Kronjäger) und Theo (Stephan Benson) finden ihn auf der Bühne.

Aus der Mitte des Publikums ins Scheinwerferlicht – mit dieser Bewegung vollziehen die beiden geradezu symbolisch das Erfolgskonzept des Autorenduos Lutz Hübner und Sara Nemitz. Sind ihre Themen doch immer mitten aus dem Zeitgeist geschöpft und mit lebendig entwickelten Figuren dramatisiert, die in der etwas komplexeren Wirklichkeitsausgabe den meisten Thea­ter­kun­d:in­nen aus der Verwandt-, Bekannt-, Nachbarschaft oder aus dem eigenen Haushalt allzu bekannt sind. Sie fungieren als Mittel zum Zweck der Zuspitzung gesellschaftlicher Probleme und moralischer Fragestellungen. So verhandeln Hübner/Nemitz im privaten Rahmen mit küchenpsychologischem Blick häufig Grundsätzliches – und setzen dabei auf die traditionelle Ästhetik boulevardesker Konversationsstücke.

Für „Was war und was wird“, die Uraufführung ihres Auftragswerks für die Kammerspiele, haben sie ein Szenario der gutbürgerlichen Ü-50-Generation gestaltet: Nach all den Jahren mit Kindern als gemeinsamem Bezugspunkt im Kleinfamilientraum mit Haus und Garten geht’s schnurstracks in die Midlife-Crisis. Theo und Anke reden über getrennte Schlafzimmer. Er stellt alterspädophile Fantasien und sie einen vertrockneten Fremdgehwunsch vor. Beide beklagen Verfallsprozesse des Körpers.

Der trotzdem immer lächelnde Theo braucht fürs fortgesetzte Wohlfühlglück und seinen Impetus, nicht erwachsen werden zu wollen, die Illusion einer guten Stimmung um sich herum. Stephan Benson zeigt dabei beeindruckend differenziert, wie unter Theos oberflächlicher Fröhlichkeit die geradezu existenzielle Verzweiflung rumort, keine Ahnung zu haben, was er im Leben wollte, will oder wollen könnte. Da sind nur Erinnerungen wie die, in der er mit Torte, Wunderkerzen, Schatzsuche einen Kindergeburtstag vorbereitet, aufgrund seiner sonst leidenschaftslosen Abwesenheit vom Familienalltag aber nicht bemerkt hat, dass „Linda studiert und Jakob mit seinen Freunden feiert“, wie Anke über die Sprösslinge aufklärt.

Sie selbst hat sich aufs Hausfrauendasein zurückgezogen. Mit der Abnabelung der Kinder wächst jetzt ihre Traurigkeit. Daher schwankt Nina Kronjägers Rollengestaltung zwischen Langeweile und Wut der Verbitterung. Manchmal ist sie sogar gelangweilt davon, wütend zu sein. Einen „Kern“ vermisse sie, irgendetwas zum Nachdenken in ihrem Leben. Einerseits leiden beide also am Empty-Nest-Syndrom, andererseits haben sie sich schlicht auseinandergelebt. Sollen sie dem Trend zur späten Scheidung folgen?

Das Theater schenkt ihnen die Möglichkeit, erst mal der unbezähmbaren Sehnsucht nachzugeben, die eigene Jugend wiederzugewinnen. Ein Blick zurück, um nochmal von vorn beginnen zu können? Als Helferin ist Lenny (Alexa Harms) im Krempel-Bühnenbild zu Hause und macht sich als Requisiteurin, Regieassistentin, Bühnentechnikerin und Darstellerin kleinerer Rollen verdient. Erst mal spendiert sie dem Paar eine Diaschau ihrer Jugendjahre, die Playlist dazu verfolgt das Publikum fortan. Dann legt Theo Parka und Palästinensertuch an, Anke kommt kaugummikauend im Roller-Girl-Style dazu. Aus Eng- wird schnell Knutschtanz. Bald folgt die erste Schwangerschaft und so weiter im nos­talgischen Bilderbogen der Klischees. Die Szenen einer Ehe sind sympathiesatt komödiantisch inszeniert von Sewan Latchinian, künstlerischer Leiter der Kammerspiele, und werden mehrmals unterbrochen von Monologen, in denen die Protago­nis­t:in­nen viel einfühlsamer und ehrlicher als im Dialog ihre Situation, Gefühle sowie unausgesprochene Konflikte analysieren und kommentieren.

Unter Theos oberflächlicher Fröhlichkeit rumort existenzielle Verzweiflung

Dass Erwachsene ihre Vergangenheit nachspielen, mag auf einer runden Geburtstags-Party lustig sein. Auf der Bühne ist es das nur in Maßen und in diesem Stück vor allem ohne Mehrwert. Auch Zukunftsängste wie Krebs- und Alzheimer-Erkrankung bleiben so folgenlos wie der Einwurf, Anke litte an Depressionen. Aspekte des Alterns werden nur stichwortartig erwähnt, nicht dramatisch verhandelt.

Daher gehört „Was war und was wird“ leider nicht zu den besten Werken von Hübner/Nemitz. Es bietet weniger Selbstverständigungs-, eher Selbstbespiegelungstheater. Super passgenau ist es fürs Kammerspielpublikum konzipiert, das sich feiern kann mit Theos Überzeugung: „Wir sind keine Spießer. Wir sind normal.“

Aufführungen: 3. und 8. 10., 18 Uhr sowie 7. 10., 19.30 Uhr, Hamburger Kammerspiele, Hartungstr. 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen