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Gastgeber des Grauens

Was man bei Urlaubsbekanntschaften riskiert: Der Psychothriller „Speak No Evil“ zeigt es

Von Fabian Tietke

Langsam holpert ein Auto über die nächtliche Landstraße in der Toskana den Hügel heran. Streicher streichen, Bläser hupen, Pauken donnern – Spannungsmusik. Oben angekommen, rollt das Auto in die Einfahrt des Agriturismo, die Bremslichter strahlen rot. Das Flirren auf der Tonspur wird jetzt von den Grillen übernommen. Als sich der Morgen hebt, dröhnt wieder die Musik. Subtilität kann man Christian Tafdrups „Gæsterne“ (wörtlich: Gäste) nicht vorwerfen. Tafdrups Film, der international unter dem Titel „Speak No Evil“ vermarktet wird, schreit von der ersten Sekunde an und noch bevor irgendetwas passiert ist: „Ich bin ein Horrorfilm.“

Während des Urlaubs in der Toskana kreuzen sich die Wege zweier Pärchen. Des dänische Paars Louise und Bjørn sowie Karins und Patricks aus dem Süden der Niederlande. Die beiden Paare und ihre Kinder Agnes und Abel verbringen den Rest des Urlaubs gemeinsam, essen im nahe gelegenen Volterra zusammen zu Mittag, scherzen beim gemeinsamen Abendessen.

Die Begegnung mit dem Paar aus den Niederlanden ist für Bjørn und Louise eine willkommene Pause von den kleinen Konflikten ihres Kleinfamilienalltags, vor allem Bjørn genießt die Anerkennung, die er von Patrick für Kleinigkeiten bekommt, so etwa, als er das Kuscheltier seiner Tochter in der ganzen Altstadt von Volterra sucht. Als Bjørn und Louise zurück in Dänemark sind, zieht Bjørn eine Karte von Patrick und Karin aus dem Briefkasten, in der die beiden vom gemeinsamen Urlaub schwärmen und Bjørn, Louise und Agnes zu sich in die Niederlande einladen.

Doch als Louise, Bjørn und Agnes die Einladung für ein Wochenende annehmen und in das Haus im Wald treten, treffen sie auf sehr veränderte Gastgeber_innen. Es beginnt eine nicht abreißende Reihe von Grenzüberschreitungen. Am Abend der Ankunft bietet Patrick Louise ein Stück Kruste vom Braten an, obwohl er weiß, dass sie Vegetarierin ist, und insistiert darauf, dass sie probiert. Aus Höflichkeit gibt sie nach. Als Bjørn sich im Bad die Zähne putzt, kommt Patrick kommentarlos herein und pinkelt hinter ihm stehend ins Klo. Weder Louise noch Bjørn sind in der Lage, sich gegen das Verhalten ihrer Gastgeber_innen zu wehren. Als sie schließlich ins Auto steigen, um abzureisen, kehren sie wegen Agnes vermeintlich vergessenen Kuscheltiers um und lassen sich trotz aller Zweifel überzeugen zu bleiben.

„Speak No Evil“ ist der dritte Langfilm des dänischen Regisseurs Christian Tafdrup. Schon in den beiden Vorgängern hat er sich der Psychologie des Alltags gewidmet. „Forældre“ („Parents“) von 2016 zeigt ein Paar, das mit dem Ausziehen des gemeinsamen Sohnes umgeht. „En frygtelig kvinde“ („A Terrible Woman“) aus dem Jahr darauf zeigt ein junges Paar, bei dem er ihrem manipulativen Verhalten nichts entgegenzusetzen hat. Tafdrup selbst beschreibt „Speak No Evil“ im Pressematerial als „satirischen Horrorfilm, gleichermaßen lustig und furchterregend“. Premiere feierte der Film in der Mitternachts-Sektion von Sundance, die sich auf Hochglanzgenrefilme als industrielle Visitenkarte spezialisiert hat.

In den beiden Paaren aus „Speak No Evil“ verkörpern sich ein selbst einengendes bürgerliches Höflichkeitsverständnis und eine enthemmte Animalität. Doch auch wenn man für Tafdrups Kritik des bürgerlichen Höflichkeitskäfigs Sympathien haben kann, fragt sich, worauf die Faszination für Patricks rücksichtslose Maskulinität und Karins ebenso anschmiegsame wie brutale Weiblichkeit hinauswill. Doch letztlich sind das Fragen, die das Hirn beim Zusehen, wohl vor allem deshalb im Kopf bewegt, weil es sonst wenig zu tun gibt.

Sosehr sich nämlich vor allem Sune Kølsters Filmmusik müht, Spannung heraufzubeschwören, so wenig will sich diese einstellen. Zu flach bleiben die Charaktere, zu banal die Bilder, zu wenig überzeugend die Drehbuchwindungen, die Louise und Bjørn daran hindern, zu gehen. Als Zu­schaue­r:in hindert einen kein Drehbuch dran, so es einen in den Film verschlagen hat.

„Speak No Evil“. Regie: Christian Tafdrup. Mit Morten Burian, Sidsel Siem Koch u. a. Dänemark/Niederlande 2022, 97 Min.

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