piwik no script img

Es könnte lustig werden

Die Theatersaison 2023/24 zeigt Verbotenes auf der Bühne, bringt Licht ins private Dunkel und lässt Realitäten verschwimmen. Auch auf dem Theater-Transfermarkt ist einiges los

Von René Hamann

Was macht eigentlich die Berliner Volksbühne? Es ist still geworden um sie. Auch das neue Programm besticht nicht eben durch Relevanz, um es einmal so zu sagen. Ein Themenabend hier, ein Gastspiel dort, ein bisschen Repertoire, und als einzige nennenswerte Premiere das neue Stück von René Pollesch – immerhin versprechen „Die Amerikaner“ einen interessanten Zugang zum Ist-Zustand der Popkultur oder so ähnlich, und Kathrin Angerer und Martin Wuttke sind natürlich immer eine Bank. Schauen wir uns gerne einmal an (UA 11. 10.).

Und was macht Herbert Fritsch? Der ehemalige Volksbühnen-Regisseur pendelt zwischen Berlin und Basel, wo er weiter seinem Sinn für abstruse Stoffe nachgeht und zusammen mit, nota bene, Herbert Grönemeyer eine „musikalische Komödie“ aufs Brett bringt. Könnte spannend werden oder aber hochnotpeinlich. „Pferd frisst Hut“ klingt jedenfalls gut, die Vorlage stammt von Eugène Labiche („Ein Florentinerhut“), es verspricht viel Action und viel Spaß. Es spielt das Orchester und der gesamte Chor des Theater Basel. Welt­premiere ist am 4. November um 19.30 Uhr. Könnte lustig werden.

Sein alter Chef, der berühmt-berüchtigte Haudegen Frank Castorf, hat unterdessen in Wien angeheuert, allerdings natürlich nicht bei Milo Rau, der ab dieser Spielzeit die Wiener Festspiele intendieren wird. Nein, Castorf hat in der „Burg“ festgemacht (also dem legendären Burgtheater), wo er sich allerdings gerne etwas Zeit lässt bis zur nächsten Premiere. Die findet dann erst im Februar des nächsten Jahres statt (genauer: am 17. Februar 2024).

Bei dem Stück aber handelt es sich um nicht Weniger als Thomas Bernhards „Heldenplatz“, ein Stück, das de jure eigentlich gar nicht mehr in Österreich aufgeführt werden dürfte, denn Bernhard hatte nach dem „Skandal“ der Uraufführung weiland 1988 ein Aufführungsverbot für alle seine Stücke in seinem hassgeliebten Heimatland verhängt. Nun denn, Castorf wird das Seinige zum Mythos beitragen, und Bernhard wird sich in seinem Grabe nicht umdrehen, sondern nur ein bisschen zucken. Vielleicht sogar vor Begeisterung.

Auch sonst hat das Burgtheater Wien zur neuen Spielzeit einiges zu bieten. Lilja Rupprecht inszeniert „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder gleich zu Beginn, nämlich am 5. September; Thomas Köck, erstaunlicherweise immer noch ein Geheimtipp, liefert das Stück „Solastalgia“, das von Christina Rast mit dem Max Reinhardt Seminar aufgeführt wird, am 16. September; und auch Nino Haratischwili, die einst beim kleinen Berliner Verbrecher Verlag begonnen hat, liefert mit „Phädra, in Flammen“ Stoff, der unter der Regie von Tina Lanik aufgeführt wird, erstmals am 7. Oktober. Auch Peter Handke ist am Start, sein alter „Kaspar“ wird von Daniel Kramer am 10. November auf die Bühne gebracht.

René Polleschs neues Stück verspricht einen interessanten Zugang zum Ist-Zustand der Popkultur

Auch für das Trainerkarussel am Theater-Transfermarkt hat die Burg etwas zu bieten. So wird Stefan Bachmann, bisher tüchtig in Köln zugange, zur Saison 2024/25 an die Wiener Burg wechseln. Der Posten am Schauspiel Köln wird indes von Kay Voges besetzt, der hier im Wien bislang amtierender Volks­thea­ter­direktor war. Er wechselt allerdings erst zur Spielzeit 2025/26 nach Köln.

Die Nachfolge am Volkstheater ist indes noch nicht geklärt, vielleicht hat der derzeit heimatlose Matthias Lilienthal ja Bock (was mit Martin Kusej, derzeit noch Burg, passiert, weiß man nicht so genau). Voges war nach der Generalsanierung mitten in der beginnenden Coronapandemie vom Schauspiel Dortmund, das er bereits auf Vordermann gebracht hatte, nach Wien gewechselt. Er hat dann auch dem Volkstheater, das als „schwierig“ galt, wieder zu Ansehen geholfen, auch zum Thea­tert­reffen wurde er eingeladen.

Aber wir waren ja bei den alten Helden der Berliner Volksbühne. Was macht eigentlich Christoph Marthaler? Richtig, derzeit ist der Musikus unter den Regisseuren noch in Salzburg bei den Festspielen zu Gast, wo er „Falstaff“ spielen lässt. Wer schnell ist, kann sich das noch am 30. August zu Gemüte führen, eine Karte gibt es für mindestens 75 Euro. Im Herbst wird Marthaler in Hamburg am Schauspielhaus aufspielen lassen. „Im Namen der Brise“ ist der zweite Teil einer kleinen kammermusikalischen Trilogie, diesmal mit Texten von Emily Dickinson (UA am 14. Oktober).

Am Schauspielhaus ist sowieso wieder eine Menge los. Karin Beier, Ex-Köln, jetzt auch schon einige Jahre Intendantin in Hamburg, nimmt sich die griechische Antike vor; unter dem Titel „Anthropolis“ gibt es eine fünfteilige Serie zu sehen, ab dem 15. September. Auch das Rimini Protokoll ist hier am Start, zusammen mit Stefan Kaegi wird in „Société Anonyme“ Dunkel ins Licht, nein, umgekehrt: Licht ins private Dunkel gebracht.

„Von Darkweb bis Telefonseelsorge, hinter dem Schleier des Hijab oder der verdunkelten Scheibe einer Limousine, bei Whistleblowern und der Hackergruppe Anonymous … In der Dunkelkammer entwickelt sich das Bild einer anderen Stadt“, so das Programmheft vorab. Zu erleben ist das in aller Öffentlichkeit ab dem 11. November.

Und Felicia Zeller findet statt! Viktor Bodo hat sich ihre Bearbeitung von Gogols „Revisor“ unter dem Titel „Die gläserne Stadt“ vorgenommen. Premiere erst nächstes Jahr, am 23. Februar 2024. Auch da wird einiges Erhellendes zu sehen und hören sein. Für komische Momente wird auch bei „Songs for Joy“ gesorgt, da Konzept, Musik und Inszenierung den Witzbolden Jacques Palminger (Studio Braun, Fraktus, und so weiter) und Carsten „Erobique“ Meyer anvertraut wurde. Aber auch das erst im nächsten Frühling.

Bliebe noch zu klären, was Susanne Kennedy so treibt. Leider nicht viel, denn sie hat aktiv mit Familienplanung zu tun, wie man so hört. Am 9. und 10. Dezember 2023 kann man sich noch einmal ihr Stück „Angela (A Strange Loop)“ geben: „Einmal mehr verschwimmen kunstvoll Realitäten, und die Zu­schaue­r:in­nen bekommen mindestens einen Albtraum mit nach Hause“, wie die Nachtkritik anlässlich der Premiere schrieb. Dann natürlich an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen