: „Das ist eine enorme Chance für die Linke“
Mit der PDS-WASG würde eine Partei in den Bundestag einziehen, die endlich mal Tacheles redet. Und sie würde auch gegen eine Post-Schröder-SPD in der Opposition eine gute Figur machen
taz: Frau Dahn, es scheint eine Listenverbindung zwischen PDS und WASG zu geben. Brauchen wir das?
Daniela Dahn: Zum ersten Mal seit langer Zeit merkt die in die Zersplitterung verliebte Linke, dass sie aufeinander angewiesen ist. Das ist eine Chance – an die ich allerdings erst glaube, wenn es diese Liste wirklich gibt.
Brauchen wir denn zwei sozialdemokratische Parteien im Bundestag?
Im Moment gibt es im Parlament doch gar keine sozialdemokratische Partei – die Schröder-SPD macht neoliberale Politik und verstößt gegen ihre Tradition und Wahlversprechen.
Nun wird es die PDS-WASG aber nicht mehr mit der Schröder-SPD zu tun haben, sondern mit einer Oppositionspartei, die durchaus sozialdemokratisch reden wird. Brauchen wir davon wirklich zwei?
Ich akzeptiere die Voraussetzung ihrer Frage nicht. Wenn sich die SPD an ihr Berliner Programm halten würde, in dem der „demokratische Sozialismus“ als Ziel beschrieben wird, wäre da etwas dran. Aber noch zeigt die SPD wenig Neigung zu Selbstkritik und Kurswechsel. Deshalb finde ich es gut, wenn enttäuschte sozialdemokratische Wähler nicht nach rechts oder ins Nichtwählerlager wandern, sondern eine Alternative haben. Die beiden Parteien werden sich unterscheiden – da bin ich sicher.
PDS-Politiker wie Petra Pau warnen schon davor, nun, wie die WASG es teilweise tut, einfach nur gegen den Neoliberalismus zu sein. Kann eine Partei im Bundestag nur von Oppositionsgesten leben? Reicht das?
Ich bitte Sie: Opposition ist die Seele der Demokratie. Eine Gegenposition zu formulieren, Herrschaftsstrukturen in Frage zu stellen ist nötig. Auch im Bundestag. Das fehlt doch seit Jahren im Parlament und in den wichtigen Medien. Kritik mag nicht ausreichen – aber es ist ein Anfang.
Die Verbindung kommt nun als Sturzgeburt. Wäre es nicht doch klüger, zu warten? Gerade angesichts des Ost-West-Grabens?
Richtig ist, dass die kulturellen Prägungen, durch die Teilung hervorgerufen, viel tiefer und hartnäckiger sind, als man geahnt hatte. Die Zeit hat dies nicht geheilt, vielleicht schafft es nun der Zeitdruck. Bislang hat die Westlinke ziemlich überheblich darauf verzichtet, aus der östlichen Erfahrung des Scheiterns mitlernen zu wollen. Das könnte sich ändern.
Glauben Sie, dass Lafontaine den Osten versteht?
Ja. Man hat ihm vorgeworfen, die Einheit nicht emphatisch genug gesehen zu haben. Ich schätze an ihm, dass er 1990 den Einigungsvertrag realistisch analysiert hat – und zwar nahezu als einziger SPD-Politiker.
Die Ängste in der PDS, dass die Partei mit dem Namen auch ihre Ostidentität verlieren könnte, sind also überflüssig?
Es gibt doch 15 Jahre nach der Vereinigung sowieso keine reinen Ostprobleme mehr. Das ökonomische Desaster im Osten ist ein nationales Problem, ebenso das Erstarken des Rechtsextremismus. Es gibt also sicher eine Ostmentalität, alltägliche Verhaltensweisen, Überzeugungen und Gewohnheiten. Aber die großen Probleme sind gemeinsam.
Hat die PDS programmatisch etwas anzubieten?
Die Kapitalismusdebatte, die ja 70 Prozent der Deutschen für nötig halten, wird doch schon viel länger geführt, allerdings ohne mediale Kenntnisnahme. Außerdem waren die beiden PDS-Frauen im Bundestag doch fast die Einzigen, die überhaupt noch auf das Desaster im Osten hingewiesen haben. Die anderen haben doch geschwiegen. Das ist gefährlich, weil die Probleme im Schatten weiter wachsen.
Das zu thematisieren, davon lebt die PDS ja. Aber wie steht es mit der Lösungskompetenz?
Dass die Fehler der Einheit überhaupt reparabel sind, da bin ich auch eher skeptisch. Aber das liegt an der Dimension der Probleme. Heutzutage schreiben sogar Redakteure der Welt Bücher mit dem Titel „Supergau deutsche Einheit“. Das ist heute ein Gemeinplatz. Vor ein paar Jahren bin ich für solche Diagnosen noch scharf kritisiert worden. Manchmal macht es keinen Spaß, Recht gehabt zu haben.
Wie steht es mit der praktischen Politik der PDS? Viele kritisieren, dass die PDS im Berliner Senat eine austauschbare Politik macht. Die PDS macht, wo sie regiert, genau die Politik, die Gysi und Lafontaine im Bundestag heftig und folgenlos kritisieren werden. Stimmt das?
Da ist etwas dran. Die PDS hat in Berlin viel Glaubwürdigkeit und Profil verloren. Sie ist mit den Schulden aus dem Bankenskandal nicht kreativ umgegangen – und bei Hartz IV hätte sie wenigstens den Posten des Wirtschaftssenator aufgeben müssen. Um ein Zeichen zu setzen, dass man sich nicht in totalen Gegensatz zum eigenen Programm begeben will. Da fehlte die Konsequenz.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE