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Archiv-Artikel

Die Pakistan-Connection

Wenn die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan Raketen testen, zuckt die Welt zusammen. Letzten Monat war es wieder so weit. Erst feuerte Indien eine atomwaffenfähige Rakete ab, eine Woche später Pakistan. Woher stammt die Bombe? In den USA erst vor Kurzem veröffentlichte Dokumente nähren den Verdacht, das frühere Kernforschungszentrum Karlsruhe könnte 1978 eine unrühmliche Rolle gespielt haben

von Meinrad Heck

November 1978, irgendwo in Wien: Die beiden Männer unterhielten sich über ein außerordentlich brisantes Thema. Diese Geschichte stand im Zusammenhang mit dem befürchteten Bau einer pakistanischen Atombombe, und sie sollte nur „mit größter Diskretion“ behandelt werden. Andernfalls, so vertraute der Informant seinem Gesprächspartner an, andernfalls könnte die Spur zur Quelle dieser heiklen Information sehr leicht zurückverfolgt werden.

Die beiden Herren, die sich da im Vertrauen unterhielten, waren keine Agenten, sondern höchst offizielle Vertreter ihrer jeweiligen Behörden. Roger Kirk war in jenen Jahren US-Botschafter bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), und der Engländer David Fischer war Stellvertretender Direktor dieser IAEO. Was Fischer dem Amerikaner zu sagen hatte, elektrisierte den US-Diplomaten. Seit Jahren stand Pakistan im Verdacht, an einer Atombombe zu bauen, nachdem Erzfeind Indien im Mai 1974 seinen ersten nuklearen Sprengsatz gezündet hatte. Und in diesem Zusammenhang ließ Fischer vier Jahre danach seinen US-Gesprächspartner wissen, dass „ein pakistanischer Wissenschaftler zwölf Monate bei Transuranium in Karlsruhe“ verbracht habe und später noch einmal zwei Wochen bei „WAK in Germany“ (gemeint war die damalige Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe).

Beide, WAK und Transuranium, lagen seinerzeit am Nabel der nuklearwissenschaftlichen Welt: im Kernforschungszentrum Karlsruhe. In beiden Einrichtungen geht es um den Umgang mit dem Bombenstoff Plutonium.

Und vielleicht brisanter noch: Er, der stellvertretende IAEO-Direktor, wisse aus der gleichen Quelle, dass eine deutsche Delegation nach Pakistan gereist sei, um Themen der Wiederaufarbeitung („reprocessing matters“) zu diskutieren. Dieser Delegation sei in Pakistan der Zugang zu bestimmten Atomanlagen verwehrt worden, weshalb die Deutschen „besorgt“ gewesen seien. Vor allem, weil sie auch Laboratorien gesehen hätten, deren Ausstattung den Umgang mit Plutonium erlaubten. Und der englische IAEO-Direktor ließ seinen Gesprächspartner wissen, seine Quelle wisse auch zu berichten, dass die Pakistanis versucht hätten, mit einem deutschen Unternehmen für den Bau von Wiederaufarbeitungsanlagen Kontakt aufzunehmen. Eilig setzte sich der US-Diplomat am 6. November 1978 in sein Büro und kabelte die Informationen „secret“ an das US-Außenministerium.

Zwei Tage später alarmierten die Amerikaner das deutsche Außenministerium, um „auf höchster politischer Ebene“ Näheres über den befürchteten Bau einer pakistanischen Wiederaufarbeitungsanlage und die mögliche deutsche Beteiligung herauszufinden. Die Antwort aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn fiel den Jahrzehnte unter Verschluss gehaltenen US-Dokumenten zufolge ernüchternd aus. Die Deutschen zeigten sich „überrascht“. Sie hielten ihre Exportbeschränkungen für Nuklearmaterial für „mehr als angemessen“ und bezweifelten, dass deutsche Unternehmen jemals illegal exportieren könnten.

Tatsächlich war am 25. Juni 1974 zwischen der Pakistan Atomic Energy Commission (PAEC) und dem Kernforschungszentrum Karlsruhe eine offizielle „Vereinbarung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie“ geschlossen worden. Einen Monat zuvor hatte Pakistans Erzfeind Indien seinen ersten Atombombentest durchgeführt. Pakistans Diktator General Zia ul-Haq hatte seinem Land deshalb verordnet, ebenfalls eine Bombe zu bauen, selbst „wenn wir dafür Gras fressen müssten“.

Jenes Abkommen zwischen den Karlsruhern und Islamabad sprach zwar von einer friedlichen Nutzung der Kernenergie, allerdings sollten dabei ausdrücklich auch „sensitive Bereich der Urananreicherung, Wiederaufarbeitung und Schwerwasserherstellung abgedeckt“ sein. Samt und sonders also Bereiche, die sowohl friedlich als aber eben auch militärisch nutzbar waren.

Die Amerikaner hatten den Braten Jahre später gerochen. Schon Tage vor jenem geheimnisvollen Gespräch zwischen dem US-Mann und dem stellvertretenden IAEO-Direktor hatte ein französischer Diplomat in Sachen pakistanischer Beschaffungsversuche in Europa keinen Hehl aus seinen Befürchtungen gemacht. „Die größte Gefahr“, erklärte der Franzose einem US-Geheimpapier zufolge, „geht von Italien und Deutschland aus.“ Der Mann hatte nur vergessen zu erwähnen, dass die Grande Nation selbst längstens dick mit den Pakistanis im Geschäft war.

Dokumente Jahrzehnte unter Verschluss

Diese entlarvenden Dokumente sind erst seit wenigen Monaten auf dem Markt. Sie haben nichts mit den sogenannten Wikileaks-Botschaftsdepeschen zu tun, die offiziell Tausenden von Menschen zugänglich waren. Die Dokumente über die Pakistan-Connection waren dagegen ausnahmslos als geheim klassifiziert und nur gut einem Dutzend Insidern zugänglich. Sie blieben über drei Jahrzehnte unter Verschluss und stammen ausdrücklich nicht aus dunklen oder anonymen Quellen. Ihre Freigabe wurde vom privaten National Security Archive an der George-Washington-Universität mit Verweis auf das amerikanische Informationsfreiheitsgesetz erzwungen. Sie wurden im Sommer vergangenen Jahres veröffentlicht. Seitdem stehen die Papiere online im Internet (www.nsarchive.org).

Bis dahin gab es in der Geschichtsschreibung eher einen einzigen Bösewicht: Abdul Quadir Khan, jenen Pakistani, den seine Landsleute als den „Vater“ ihrer Bombe verehren. Er hatte als junger Wissenschaftler in europäischen Forschungseinrichtungen gearbeitet, dort die Blaupausen gestohlen und sie später angeblich auch an den Iran und Nordkorea verkauft. Die Justiz seines Heimatlandes hatte ihn mit Samthandschuhen angefasst und lediglich bis zum Jahr 2009 zu Hausarrest verurteilt. Aber der Mann hatte ein geheimes Netzwerk aus ungezählten pakistanischen Wissenschaftlern. Und hinter diesen Zuträgern und ihren Quellen waren die Amerikaner her.

Kein europäisches Land, schon gar nicht Deutschland und seine Forschungsinstitute, wollten in diesem Zusammenhang genannt werden. Noch im Oktober 1979 erklärte das Auswärtige Amt in einer „Unterrichtung über das pakistanische Nuklearprogramm“ wörtlich: „Wir haben sichergestellt, dass die deutschen Forschungsinstitute keine pakistanischen Wissenschaftler im Nuklearbereich, insbesondere im sensitiven, ausbilden und beschäftigen.“ Genau das Gegenteil war der Fall. Die Herren aus Islamabad waren längst in Karlsruhe tätig.

Die badischen Atomforscher hatten jedoch ebenfalls kalte Füße und Wind von den Bombenplänen bekommen. Die Wissenschaftler unterstanden dem Bundesforschungsministerium, und von dort wollten sie schriftlich wissen, inwieweit ihre Kooperation mit den Pakistanis „berührt“ sein könnte. Das Ministerium verdonnerte die Karlsruher am 7. August 1979 nicht etwa zum Stopp der Zusammenarbeit, sondern „zu größter Zurückhaltung“. Es sei „sicherzustellen, dass unsere bilateralen Aktivitäten in keiner Weise mit den vermuteten pakistanischen Bestrebungen in Verbindung gebracht werden können“. Eine solche Formulierung darf man sich getrost noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: „… nicht in Verbindung gebracht werden …“

Einem Ministerialen platzte der Kragen

Die Verbalakrobatik setzte sich über Jahre fort. Nur eines Tages platzte einem Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums in einem Briefwechsel mit dem Auswärtigen Amt der Kragen, und er schrieb eine geharnischte Depesche: „Während einerseits ständige Bemühungen im Gange sind, den Erfolg des pakistanischen Nuklearprogramms zu inhibieren (verhindern), steht das Kernforschungszentrum Karlsruhe offensichtlich in engstem Kontakt mit einschlägigen pakistanischen Dienststellen, um das Wissen für ebendieses Nuklearprogramm zu vermitteln.“

Die Antwort des Forschungsministeriums fiel eher harmlos aus. Kernforschungszentren seien als juristisch selbstständige Personen für die Beachtung ausfuhrrechtlicher Bestimmungen selbst verantwortlich und „sich auch der bestehenden Verpflichtungen durchaus bewusst“. Aber die Anregung, sich in Zweifelsfällen beraten zu lassen, werde an die Forschungszentren weitergeleitet. Hieß es. Also wenigstens etwas. „Endlich“, kommentierte ein kritischer Ministerialer handschriftlich auf dem Dokument.

Spätestens seit dem Schmiergeld- und Abfallskandal um die hessischen Firmen Nukem und Transnuklear im Jahr 1987 realisierte eine immer kritischere Öffentlichkeit, wie bedrohlich Geschäfte mit Nuklearmaterial sein können, wenn sie außer Kontrolle geraten. Monatelang versuchten mehrere Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene Vorwürfe zu klären, bei diesen Geschäften sei spaltbares Material illegal nach Pakistan und Libyen verschifft worden. Juristisch wasserdicht wurde das nie erhärtet. Mehrere Buchautoren haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Zuletzt der Bonner Journalist Dieter Kassing in seinem gerade erschienenen Buch „Nucleus“. Ein „Tatsachenroman“, so der Autor, „über korrupte und unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommene Manager und illegale Nuklearexporte der deutschen Wirtschaft“.

Alle Bemühungen, das pakistanische Atomprogramm unter Kontrolle zu halten, waren letztlich gescheitert. Am 28. Mai 1998 zündete Islamabad seinen ersten nuklearen Sprengsatz.

Im Hochtechnologieland Baden-Württemberg wurde aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe 1995 das Forschungszentrum Karlsruhe. Alle Nuklearaktivitäten an Forschungsreaktoren, dem Schnellen Brüter und der Wiederaufarbeitungsanlage waren eingestellt worden. Das Zentrum macht heute auf nuklearem Gebiet nur noch durch Skandale im Entsorgungsbereich auf sich aufmerksam und durch die Detektivarbeit des Europäischen Instituts für Transurane zur Verhinderung illegalen Nuklearhandels. Auf heftige Kritik war aber auch die Forschungstätigkeit dieses Instituts für Reaktorsysteme der vierten Generation gestoßen. Der Konflikt war erst unlängst in einem öffentlichen Mediationsverfahren beigelegt worden.

Das Forschungszentrum fusionierte 2006 mit der örtlichen Universität zum Karlsruher Institut für Technologie. Bis heute versuchen kritische Stimmen eine sogenannte Zivilklausel, welche die Forschung an militärisch nutzbarem Material ausschließen soll, zu etablieren. Bis heute ist dieser Versuch gescheitert.