piwik no script img

wortwechselDie Erde ist erschöpft. Die Menschen sind es auch

Leidet die Bevölkerung seit Corona an einer „posttraumatischen Belastungsstörung“? Diese These vertritt Sozialforscher Klaus Hurrelmann im Interview. Nur Krisen in Sicht?

„Die Bevölkerung ist erschöpft“. Pandemie, Krieg, Klima: Laut Forscher Hurrelmann zeigt die Gesellschaft Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Wie kann das überwunden werden?“, taz vom 4. 8. 23

Abholpädagogik?

Es dürften wohl viel mehr Menschen sein, die ihr Leben monatlich auf Kante nageln müssen, als angenommen. Solch ein Leben macht definitiv krank und mad. Gerhard Krause auf taz.de

„Die“ Bevölkerung, „die“ Politik? In der BRD gibt es seit deren Bestehen einen Sockel von Neonazis und zugleich einen Teil der „Mitte“, der durch intergenerationalen Alltagsrassismus, menschenfeindliche Einstellungen zusammengehalten wird. „Mitnehm-“ und „Abholpädagogik“ wird das kaum ändern, diese Leute sind alles andere als „traumatisiert“ oder „erschöpft“. Im Gegenteil, die sind bereits empowered. Hamann auf taz.de

@Hamann Nein! Der Forscher bringt es auf den Punkt, und es ist wirklich an der Zeit, solches ernstzunehmen. In meinem Bekanntenkreis sind mehrere Menschen, die inzwischen „aus Verzweiflung“ der AfD ihre Stimme geben würden. Ich meine damit Menschen, von denen ich weiß, dass sie zuvor grün gewählt haben, nicht mal CDU. Ich glaube, dass das von Hurrelmann angesprochene „emotionale Abholen“ der Menschen so wichtig wie vernachlässigt ist in der aktuellen Regierungsarbeit. Franziska63 auf taz.de

Überfordert? Und nun?

Wenn das Ziel nicht klar ist, wird Aktivität zur Erschöpfung. Ganzjahres Reichweite

Bei allem Respekt, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat keine posttraumatische Belastungsstörung, weil sie ein paar Monate zu Hause bleiben musste. Ebenso wenig hat sie jetzt eine, weil Russland in die Ukraine einfiel oder die Folgen des Klimawandels beginnen, sich bemerkbar zu machen.

Die Leute fühlen sich zum Teil deshalb ohnmächtig, weil sie den Eindruck haben, dass ihre Interessen und Ansichten nicht oder nicht mehr ausreichend repräsentiert werden und in der öffentlichen Debatte nicht mehr vorkommen. Die Leute deshalb alle für (belastungs)gestört zu erklären, halte ich für maximal kontraproduktiv, respektlos gegenüber Menschen mit einer tatsächlichen Belastungsstörung und ganz nebenbei auch für paternalistisch, da es niemandem zusteht, die geistige Verfassung ganzer Bevölkerungsgruppen derart abzustempeln.

Agarack auf taz.de

„Es braucht alles Zeit!“

Hurrelmann beschreibt das richtig. Alle brauchen jetzt erst mal einige Jahre Pause von großen Veränderungen. Die Ampel macht es allen nur noch sehr viel schwerer, weil sie jeden Tag an der Veränderung der alltäglichen Lebensverhältnisse schraubt und meistens wird alles teurer und schlechter. Die Umstellung von Gas und Öl auf alternative Energien hat in Dänemark Jahrzehnte gebraucht. Es braucht alles Zeit! Name ist der Redaktion bekannt

Da bedient sich der Pädagoge Professor Hurrelmann des psychiatrisch klar definierten Fachbegriffs der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – natürlich nur als Analogie zu verstehen! –, um Befragungsergebnisse einer Jugendstudie zu interpretieren. Es werden dann weitreichende Schlussfolgerungen für den Einzelnen und die Gesellschaft gezogen.

Weder ist die PTBS in irgendeiner Weise für die Anwendung auf „Gesellschaften“ validiert, noch sind die behaupteten Zusammenhänge (etwa zwischen Covid-19 und PTBS) empirisch belastbar nachgewiesen (die wenigen Studien stammen aus den Jahren 2020/21, also der Akutphase von Covid-19, werden aber „locker“ auf die Gegenwart angewendet. Auch die angeblichen Belege für die aktuelle „Traumatisierung der Gesellschaft“ basieren eher auf blühender Phantasie als auf belastbaren wissenschaftlichen Daten. Und selbst für Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung zur gegenwärtigen AfD-Problematik wird die Erzählung noch genutzt. Dient Fiktionalität in irgendeiner Weise der Faktizität? In der Wissenschaft sicher nicht. Ruth Rustemeyer, Delbrück

Zeit für die Brötchentaste

Die Bevölkerung ist so erschöpft, dass sie es nicht schafft, auch nur wenige Meter aus eigener Kraft zurückzulegen. So wuchtet sie sich „ohnmächtig“ im Verbrenner von Brötchentaste zu Brötchentaste. Erschütternd. Guzman auf taz.de

Himmel weint, denn es ist Krieg, was ist das wieder für eine dumme Politik.

All dies Drama, etwa unser Karma?

Corona ist vorbei, wir waren doch alle endlich wieder frei.

Und jetzt in diesem Nebel, Kriegsängste rasen durch jeden Schädel.

Kleine Kinderaugen schauen fragend, gerade geboren, sind wir jetzt schon verloren?

Mama, Papa tun zu Hause stark, aber weinen heimlich nachts im Park.

Weit und breit auf dem Planeten, alles voll Raketen. Da geht’s doch wieder nur um Macht, Ego und Moneten.

Ihr mächtigen Männer da oben in euren Riesenvillen, nehmt nicht so viele Pillen. Lasst die Erde wieder chillen, statt dass sich gegenseitig alle killen.

Hat denn keiner was aus der Geschichte gepeilt, wieder und wieder nur Streit?

Die Alten sind oft weise, daher sprechen sie sehr leise, holt sie schnell mit an Bord. Was jetzt zählt, ist ihr Wort, denn ein Blick in die Geschichte, ist der Weg ins Lichte.

Liebe Sonne, bitte komm zurück, denn wir alle wollen wieder sehen und nicht mehr in diesem Nebel stehen.

Enrico W. Arndt, Heidelberg

Oh je, sind „wir“ arm dran. Im größten Wohlstand aller Zeiten nicht kollektiv in der Lage, unser Wohlergehen sozial zu organisieren. Humusaufbau auf taz.de

Die Leute sind nicht von Corona, Heizungsthema und dem Krieg erschöpft, sondern vom öffentlichen Umgang damit. Die Menschen brauchen keinen gesetzlichen Betreuer, sondern Fachleute, die wissen, was sie tun. Jakob Steinberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen