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Archiv-Artikel

„Jugendarbeit hat ihren Preis“

FREIZEITGESTALTUNG Lichtenberg betreibt seine Jugendklubs nicht mehr selbst. Das ist effizienter, sagt der Grüne Michael Heinisch. In Friedrichshain stößt ein ähnlicher Plan auf Widerstand

Michael Heinisch

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bezirksparlament Lichtenberg wurde 1964 geboren. Er erarbeitete das Lichtenberger Modell der Jugendfreizeiteinrichtungen in freier Trägerschaft und entwarf die Leistungsverträge. Heinisch, Vater von fünf Kindern, leitet die Sozialdiakonische Arbeit in Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Foto: privat

INTERVIEW BASTIAN BRINKMANN

taz: Herr Heinisch, Sie haben in Lichtenberg vorangetrieben, dass die Jugendfreizeiteinrichtung seit 2008 in freier Trägerschaft sind. Wo ist das Problem, wenn der Bezirk die Jugendklubs selbst betreibt?

Michael Heinisch: Jugendklubs können auch in bezirklicher Trägerschaft Zukunft haben. Es gibt jedoch strukturelle Probleme: Etwa der Altersdurchschnitt des Personals – durch den Personalabbau im öffentlichen Dienst steigt der Anteil älterer Mitarbeiter. Kinder und Jugendliche brauchen aber Ansprechpartner in allen Altersklassen – die Mischung macht’s.

Welche Probleme sehen Sie noch?

Da ist die schwerfällige und teure Verwaltung. Die braucht Geld, das lieber direkt bei den Kindern und Jugendlichen ankommen sollte. Ein Beispiel: Der Kicker in einem Jugendklub war kaputt. Der Einkaufsservice organisierte einen neuen. Die Jugendlichen wurden nicht gefragt. Der neue Kicker kostete 800 Euro, die Verwaltungsleistung für den Einkauf zusätzlich 1.000 Euro. Und der neue Kicker entsprach nicht dem Bedarf – nach vier Wochen war er hinüber. So etwas kann man in freier Trägerschaft schneller und anders lösen.

Wie viel spart denn Ihr Bezirk seit 2008?

Lichtenberg kann seitdem die Kosten um etwa 30 Prozent senken. Das sind pro Jahr fast 2 Millionen Euro. Gleichzeitig können wir die Qualität der Jugendarbeit erhöhen. Und: Die Betreiber sind nicht mehr abhängig von staatlichen Zuwendungen, sondern schließen langfristige Leistungsverträge mit dem Bezirksamt ab.

Das hört sich alles wunderbar an. Müssen die Mitarbeiter bei freien Trägern nicht zu schlechteren Bedingungen arbeiten, als wenn sie beim Bezirk angestellt wären?

Nein. Wir bezahlen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Anbieter mit Dumpinglöhnen kann und sollte der Bezirk vertraglich ausschließen.

„In Friedrichshain-Kreuzberg gibt es bisher keine erkennbare Vision zur Zukunft qualitativer Jugendarbeit“

In Friedrichshain-Kreuzberg regt sich Widerstand dagegen, dass freie Träger die Jugendfreizeiteinrichtungen übernehmen sollen. Was sagen Sie zu diesem Protest?

Ich kann den Ärger gut verstehen. Dort gibt es bisher keine erkennbare Vision zur Zukunft qualitativer Jugendarbeit. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Spardiskussion die Oberhand gewinnt, nach dem Motto: „Wir nehmen freie Träger, dann kostet die Jugendarbeit kaum noch was.“ Das ist falsch. Freie Jugendarbeit hat ihren Preis. In Lichtenberg sind das 30 Euro pro Angebotsstunde, das ist die Rechengrundlage für die ausgeschriebenen Verträge. In Friedrichshain-Kreuzberg sind derzeit aber nur 18 Euro im Gespräch. Mit diesem Preis kann kein seriöser Träger qualitative Jugendarbeit anbieten und das erforderliche Fachpersonal tarifgerecht entlohnen.

Was muss passieren, damit Friedrichshain-Kreuzberg nicht zum Modell wird für die restlichen Bezirke Berlins?

Wir brauchen im Bereich der Jugendarbeit ein kalkulierbares, auf Einwohner- und Sozialdaten basierendes Budgetierungssystem für die Bezirke. Und einen Rahmenvertrag auf Landesebene, der die Jugendarbeit regelt. Ansonsten fürchte ich, dass die Bezirke zwar weiterhin Räume zur Verfügung stellen, aber kaum mehr. Zur Jugendarbeit gehören aber auch Profis: ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen. Schlechte Freizeitangebote werden von Jugendlichen auch schlecht angenommen – und dann wird die Jugendarbeit bald ganz gestrichen, weil da ja sowieso keiner mehr kommt. Das muss auf jeden Fall verhindert werden.