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berliner szenenAch, die Mädchen-Logik

Ich bin auf dem Weg nach Wannsee ins Literarische Colloquium zu einer Veranstaltung und fühle mich ein bisschen, als würde ich einen Ausflug machen, wie früher als Kind mit den Eltern. Damals sind wir Dampfer gefahren, haben Pommes und Eis gegessen mit dem Wind um die Nase und dem Gefühl, sich nicht in der Stadt zu befinden, sondern ganz weit weg. Ich glaube, meine Eltern brauchten das manchmal.

In der S-Bahn ist es recht leer, aber direkt neben mir sitzen zwei Jungs mit Sporttaschen. Der Kleinere hat noch eine helle Stimme und ist etwa dreizehn Jahre alt, trägt eine kurze Hose und zwei verschiedene Socken in den Sneakers. Am linken Fuß prangen bunte Rauten, am rechten Fuß eine Mangafigur mit Blitzen. Der größere Junge ist vielleicht fünfzehn, trägt eine Brille, die zu einem Erwachsenen passt, und sieht sehr ordentlich aus. Sie unterhalten sich über ein bevorstehendes Treffen mit einer K.

„Ist nochmal was anderes, wenn du sie jetzt so allein triffst“, sagt der Große mit Kennermiene. „Geht ihr auf die Liegewiese?“

„Wir schwimmen am Schlachtensee“, sagt der Kleine.

„Bin mal gespannt, ob sie auf die Bäume klettert zum Reinspringen mit dem Seil,“ überlegt der Große.

„Wär cool, aber mal sehen“, sagt der Kleine. „Mädchen sind ja richtig kompliziert mit der Wahrheit, was gefährlich ist und so.“

Der Große nickt wissend. „Ist diese Mädchen-Logik“, sagt er düster. Der Kleine fummelt an seiner Tasche herum und meint: „Aber ich glaub, sie klettert. Is' nur so'n Gefühl.“ Der Große schweigt. Als der Kleine aufsteht und die zwei ein kompliziertes Abschiedsritual mit den Händen veranstalten, sagt der Große noch: „Falls sie nicht klettert, viel Spaß auf der Liegewiese.“ Der Kleine nickt ernst, aber sein Blick ist voller Hoffnung.

Isobel Markus

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