: Wie die kleinen Männer
Nach dem 3:0 gegen Geheimfavorit Frankreich stehen Deutschlands Fußballfrauen im Halbfinale der Europameisterschaft in England – Gegner am Mittwoch: das Überraschungsteam aus Finnland
AUS WARRINGTON ANDREAS MORBACH
Das beliebte und reichlich unsinnige Spielchen, nach den Unterschieden zwischen Männer- und Frauenfußball zu fahnden, ist seit Sonntag um ein Detail reicher. Ungeduscht nach Hause fahren Männer eigentlich nur, wenn sie noch relativ kleine Männer und unter 14 sind. Frauen dagegen treten auch schon einmal nach einem Europameisterschaftsspiel den Heimweg verschwitzt und verdreckt an. So wie Deutschlands Fußballerinnen nach dem 3:0-Erfolg gegen Geheimfavorit Frankreich, der ein Favorit in Lauerstellung bleiben wird: Die Französinnen sind ausgeschieden.
Und so standen die Frauen, die den etablierten Teams in England eigentlich Beine machen wollten, eine gute Stunde nach Spielschluss noch auf dem weitläufigen Parkplatz vor dem Halliwell-Jones-Stadium. Mit langen Gesichtern, aber immerhin frisch geduscht. Und zwischen ihnen lief Bundestrainerin Tina Theune-Meyer hin und her, die so viele Fragen hatte beantworten müssen, bis ihre Spielerinnen ohne sie ins Mannschaftshotel gefahren waren.
Wie es scheint, haben es die Titelverteidigerinnen sehr eilig damit, auch dieses Turnier erfolgreich hinter sich zu bringen. Und falls so gewollt, war die Gestaltung des Sonntagnachmittags in Warrington in seiner Konsequenz durchaus überzeugend: gemächlich anfangen, zum Ende der Partie hin aufdrehen, um sich nach dem Abpfiff dann ganz schnell vom Acker zu machen. Theune-Meyer jedenfalls behauptete, in etwa diese Taktik ausgegeben zu haben. „Schon im ersten Spiel“ seien die Französinnen mit zunehmender Spieldauer ermattet, erklärte sie. „Und im zweiten auch.“ Woraus die 51-jährige Fußballlehrerin schloss: „Das ist eine Mannschaft der ersten Halbzeit.“
Und so gab sie ihrem Team der zweiten Halbzeit – sechs ihrer acht Vorrundentreffer erzielten die DFB-Frauen nach der Pause – mit auf den Weg: „Wir sind schon im Halbfinale, müssen hier nichts mit der Brechstange probieren.“ Die Brechstange blieb in der Kabine, die Gegnerinnen wurden immer müder, und ab der 72. Minute schossen Inka Grings, Renate Lingor per Straf- und Sandra Minnert per Freistoß im Fünf-Minuten-Takt den standesgemäßen Sieg heraus.
Das war auch nötig, denn schon ein lange Zeit möglicher 1:0-Erfolg gegen den Weltmeister hätte Frankreich statt zum Gruppendritten zum Gruppensieger gemacht. Und Deutschland dürfte im Halbfinale nicht wie jetzt gegen die EM-Sensation Finnland spielen, sondern gegen ihre Dauerkontrahentinnen aus Schweden.
Jetzt also die Finninnen, die großen Unbekannten beim Turnier in Englands Nordwesten. Theune-Meyer sind die Fußballerinnen aus dem Land mit den vielen Seen aber natürlich nicht völlig fremd. Vor der EM hat sie den Halbfinalgegner in einem Test gegen Italien beobachtet und während der EM beim entscheidenden 2:1-Sieg über Dänemark. Eine Niederlage gegen Gastgeber England zum Auftakt und ein Remis gegen Vizeweltmeister Schweden war dem vorausgegangen, woraus die Bundestrainerin nun ihre schlichte Erkenntnis ableitet: „Durch die positiven Ergebnisse bei diesem Turnier sind die Finninnen in einen Lauf gekommen.“
Und jetzt laufen sie und laufen sie – und können als krasser Außenseiter zudem ganz unbeschwert in das Halbfinale gegen Deutschland am Mittwoch gehen. „Es gibt keinen Grund, Finnland zu unterschätzen“, gab Silke Rottenberg in diesem Zusammenhang ordnungsgemäß zu Protokoll. Im Allgemeinen hält es die Torfrau, gegen Frankreich in der wackligen ersten Halbzeit ein souveräner Rückhalt, aber wie ihre Kolleginnen: Man weiß nichts Genaues über den Gegner, aber dafür gibt es ja schließlich die Bundestrainerin. „Wir verlassen uns da ganz auf Tina Theune-Meyer“, erklärte Pia Wunderlich, die am Sonntag zur Pause eingewechselt wurde und so zu ihrem 100. Länderspiel kam. „Sie wird uns mit ihren Videos schon richtig einstellen.“
Bisher jedenfalls konnte bei der EM noch kein Gegner die DFB-Auswahl ernsthaft gefährden. Obwohl die deutschen Frauen bislang mehr oder weniger auf Sparflamme spielen. „Es läuft nicht alles rund bei uns“, weiß die Frankfurterin Wunderlich, und auch Frauenfußballfreund Theo Zwanziger hob bei seiner ersten und womöglich auch schon letzten Stippvisite in England den Finger. „Ich habe die Mannschaft schon besser gesehen“, betonte der geschäftsführende DFB-Präsident.
Theune-Meyer ficht das alles nicht an. Schließlich sind es nur noch ein oder zwei Spiele bis zu ihrem Abschied als Cheftrainerin. Da sieht man die Dinge schon mal lockerer und schaut zur Not einfach auf die Statistik. „Es ist ein gutes Gefühl“, sagt die Trainerin, „als Gruppenerster mit drei Siegen und ohne Gegentor in ein Halbfinale zu gehen.“ Wirklich widersprechen kann ihr da keiner.