In Kinshasa herrscht Vorkriegsstimmung

Die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo richtet sich auf einen blutigen Showdown zwischen der Regierung Kabila und der außerparlamentarischen Opposition ein. Von Massakern bis zum Putsch des Kabila-Militärs erscheint alles möglich

Flugblätter rufen dazu auf, die Politiker und ihre Familien umzubringenDie UNO-Mission in der Hauptstadt wartet in ihrer Festung ab und reagiert nicht

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Die kongolesische Politik hat ein neues Zauberwort. „Tramontina“ bringt ein hintersinniges Lächeln auf die Gesichter von Gesprächspartnern und verleitet Politiker zum Anekdotenerzählen. „Tramontina“ ist der Name eines brasilianischen Machetenherstellers.

Niemand in Kongos Hauptstadt Kinshasa hat die Macheten aus Brasilien wirklich gesehen, aber sehr viele Leute sind sich sehr sicher, dass sehr große Mengen davon unter die Leute gelangt sind. „Operation Tramontina“ ist die Überschrift eines zirkulierenden Flugblatts, das das „kongolesische Volk“ dazu aufruft, sich um die Politiker des Landes und ihre Familien „zu kümmern“, und zwar „vor dem 30. Juni 2005 um Mitternacht“. Was das heißt, berichten Besucher eines Fußballspiels vor einer Woche in Kinshasa, als Kongos Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation völlig überraschend Uganda mit 4:0 schlug. „Am 30. Juni bringen wir euch mit unseren Macheten um“, sollen die Fans gerufen haben, nachdem sie einen der Vizepräsidenten des Landes unter den Zuschauern erspähten. Der Vizepräsident, Zahidi Ngoma, ergriff die Flucht.

Der 30. Juni soll der Tag des Showdowns in Kinshasa werden. Auf der einen Seite steht die Allparteienregierung aus Kongos Kriegsparteien, deren vereinbarte Amtszeit am 30. Juni abläuft und die es nicht geschafft hat, in ihren zwei Jahren an der Macht freie Wahlen zu organisieren, sondern sich jetzt noch ein Jahr geben will. Auf der anderen Seite steht eine außerparlamentarische Regenbogenkoalition aus Demokraten und Demagogen, die darauf beharrt, ab 30. Juni liege die legitime Macht beim Volk, und von Massenprotesten wie in der Ukraine träumt.

„Ein Funke reicht, damit alles in die Luft fliegt“, analysiert Alafuele Kalala, Parlamentarier einer kleinen Oppositionspartei, in dessen Wohnviertel täglich Versammlungen der radikalen Opposition stattfinden. Er spricht von Frustration und Verelendung, idealem Terrain für Scharfmacher. „Die Leute werden mit ihren Macheten natürlich nicht die Institutionen angreifen. Sie haben Nachbarschaftsgruppen gebildet, um herauszufinden, welcher Politiker wo wohnt. Wenn am 30. Juni das Volk auf die Straße geht und die Armee das Feuer eröffnet, werden sie sich an den Politikern rächen.“

Die Antwort der Regierung auf die angeblich geplante „Operation Tramontina“ ist, sagt Eve Bazaiba von der größten Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt), eine „Operation Elektrischer Fisch“: Massenverhaftungen, Abriegeln ganzer Stadtviertel, Einmarsch von Sondereinheiten des Militärs. Die Verhaftungen sind bereits im Gange, der Rest folgt – und zwar noch vor dem 30. Juni. Kongos Generalstab hat gemeinsame Manöver von Armee, Präsidialgarde, Luftwaffe und Marine ab 20. Juni mitten in der Hauptstadt angekündigt – einen „Militärspaziergang“, der am 26. Juni mit „Schießübungen“ enden soll.

Eigentlich steht in der Allparteienregierung das Militär unter gemeinsamer Kontrolle der einstigen Kriegsparteien. Aber Präsident Joseph Kabila baut Paralleleinheiten auf, und um die geht es jetzt. Die Präsidialgarde GSSP ist nach UN-Recherchen für 80 Prozent der Gewaltkriminalität in Kinshasa verantwortlich.

Manche fürchten, dass Kabila mit diesen Truppen nicht bloß Demonstrationen niederschlagen will. Er könnte auch den Ausnahmezustand verkünden und die Allparteienregierung wegen erwiesener Unfähigkeit absetzen. Die Kabila-treue Tageszeitung L'Avenir druckt derzeit täglich denselben Kommentar auf der Titelseite. Darin wird gefordert, mit der Koalitionsstruktur der Regierung endlich Schluss zu machen.

Von einer „Strategie der Provokation“ sprechen hochrangige UN-Beamte in Kinshasa. Aber sie tun nichts dagegen. Die UNO hat mit rund 16.000 Soldaten im Kongo die größte Blauhelmmission der Welt. Ihr Hauptquartier in Kinshasa ähnelt einer Festung, weiträumig mit Stacheldraht und Panzern abgeriegelt. Sollte am 30. Juni alles in die Luft fliegen, wäre die Mission gescheitert und Afrikas blutigster Krieg würde neu ausbrechen. Ein Bewohner von Kinshasa meint zynisch: Unser Krieg begann im Osten des Landes – und er wird in Kinshasa enden.

Aber ein hochrangiger UN-Mitarbeiter stellt klar: „Wir machen uns keine Illusionen, dass wir mehr tun können, als uns selbst zu schützen“. Insider beklagen, dass auf Druck der USA und Frankreichs, die beide auf einen starken Kabila setzen, keine aktive internationale Politik zur Rettung des Friedensprozesses erfolgt. Einer betont sogar, im Falle eines Putsches würden die Blauhelme nicht eingreifen. Man müsse dann eben „die Lage analysieren“. Evakuierungsszenarien kursieren.

Das wissen auch die Kongolesen. Die Lage erinnert an das düsterste Kapitel der UN-Geschichte: Ruanda 1994. Macheten wurden verteilt, ein Friedensprozess kriselte vor sich hin, eine UN-Mission blieb untätig und zog, als die Gewalt losging, ab. Das Ergebnis: eine Million Tote.