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Archiv-Artikel

China kauft den Markt für Kaschmirwolle leer

Pullover und Stoffe aus Kaschmir sind die Exportartikel der Mongolei. Doch nun stehen – wie in der Gobi-Fabrik – viele Textilmaschinen still. Die Ziegenwolle geht aus, weil Hirten sie neuerdings lieber chinesischen Händlern verkaufen

Einst eroberte die Gobi-Fabrik den Westen – und Kunden wie Peek & Cloppenburg Die mongolische Regierung wehrt sich nicht, klagt Gobi-Chef Sedvanchig

ULAN BATOR taz ■ Fein und weich fasst sich das Material an, das in den altmodischen Werkshallen am Rande von Ulan Bator verarbeitet wird: Kaschmirwolle, gewonnen aus den Haaren der Kaschmirziegen, die in den Steppen der Mongolei grasen. In der Gobi-Fabrik entstehen edle Garne, die zu Pullovern, Strickmänteln, Schals und Stoffen verarbeitet werden. Verkauft werden sie in den Geschäften von Moskau, Wien, New York oder Tokio. Und natürlich in Berlin, wo heute der mongolische Ministerpräsident Tsakhia Elbegdorj zum Staatsbesuch erwartet wird.

Schon seit 24 Jahren gehört das Werk unterhalb der Bogh-Khan-Berge zu den größten Produzenten von Kaschmirtextilien der Welt. Doch nun ist die einstige Perle der mongolischen Wirtschaft in Bedrängnis. Viele Maschinen in der 1981 mit japanischer Hilfe gebauten Fabrik stehen still. Schuld sind der Kampf um das begehrte Rohkaschmir und der raue Wettbewerb um die Absatzmärkte auf der Welt.

Seitdem die internationalen Textilquoten Anfang des Jahres wegfielen, kauft die chinesische Konkurrenz besonders aggressiv Rohstoffe auf: Denn jetzt dürfen ihre Fabriken nahezu unbegrenzt exportieren. Damit bringen sie nicht nur den mongolischen Markt durcheinander. Auch US-Amerikaner und Europäer fürchten wegen der Flut chinesischer Billigtextilien um ihre Bekleidungsindustrie. Der Unterschied: Die USA verhängten Importbeschränkungen, die EU erreichte letzten Freitag, dass China vorerst weniger T-Shirts exportiert. Die Mongolei ist weniger mächtig.

Bislang arbeiten rund 1.300 Gobi-Angestellte, meist Frauen, an scheinbar endlosen Reihen von Webstühlen und Strickmaschinen. Als das sowjetische Imperium Anfang der Neunzigerjahre zusammenbrach, überlebte das Staatsunternehmen als eines der wenigen im Land. Der riesige Betrieb wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Anteile zu 75 Prozent dem Staat gehören. Mit Maschinen aus Japan und der Schweiz sowie teuren Werbekampagnen eroberte Gobi sich den Westmarkt. Peek & Cloppenburg und Betty Barclay gehören zu den Kunden.

Etwas wehmütig erinnert sich der 41-jährige Chef der Firma, Sedvanchig Tserenbat, an die alten Zeiten vor der Wende 1990. „Damals produzierte unser Land etwa 1.000 Tonnen Rohkaschmir im Jahr, und wir hatten das Monopol.“ Reisten die Aufkäufer der Firma durchs Land, warteten schon die Hirten mit ihren Säcken voll Ziegenwolle.

Das ist vorbei: Inzwischen sind fünf weitere Kaschmirbetriebe in der Mongolei entstanden, und die Ziegenherden wurden privatisiert. Ihre Besitzer dürfen nun an den verkaufen, der den besten Preis bietet – und das sind inzwischen vor allem chinesische Händler. Zwar produziert die Mongolei mittlerweile dreimal so viel Rohkaschmir wie vor 15 Jahren, aber davon bleibt immer weniger im Land.

4.677 Kilometer lang ist die Grenze zwischen China und der Mongolei. Anders als früher, als sich mongolisches und sowjetisches Militär auf der einen und chinesische Truppen auf der anderen Seite misstrauisch gegenüberstanden, herrscht jetzt reges Kommen und Gehen. „Die Grenzen sind offen, das kann man gar nicht mehr kontrollieren“, sagt Werkschef Sedvanchig.

Selbst wenn chinesische Unternehmen ordentlich ihre 2,6 Euro Exportsteuer pro Kilo Rohkaschmir bezahlen, können sie meist kostengünstiger produzieren als Firmen in der Mongolei, wo die Transportwege mühsamer und die Löhne oft höher sind als in vielen Fabriken Chinas. Zudem schauen mongolische wie chinesische Zöllner – gegen eine kleine Aufmerksamkeit – gerne weg, wenn jemand ein paar Säcke Wolle an ihnen vorbeiträgt. Mindestens 50 bis 60 Prozent des mongolischen Rohstoffs, schätzt der Verband der mongolischen Kaschmirproduzenten, gelangen mittlerweile legal oder illegal nach China.

Firmenchef Sedvanchig ist mit seiner eigenen Regierung unzufrieden, weil sie seiner Ansicht nach viel zu wenig tut, die heimische Produktion zu schützen: So sind die Ausfuhrzölle auf Rohkaschmir seit 1993 nicht erhöht worden, obwohl der Wert der Wolle auf dem Weltmarkt mittlerweile auf ein Vielfaches gestiegen ist. Sedvanchig: „Die Steuer muss auf mindestens 30 Prozent gesteigert werden.“

Dazu kommt, dass die Herden nicht mehr wachsen dürfen. Die Zahl der Kaschmirziegen hat sich seit 1990 auf rund 12 Millionen verdoppelt. „Mehr kann die Mongolei nicht verkraften“, sagt Sedvanchig. Denn die Tiere fressen – anders als zum Beispiel Schafe oder Rinder – nicht nur die Gräser und Kräuter, sondern rupfen sie mitsamt ihren Wurzeln aus. Schon gehen jedes Jahr große Flächen kostbarer Grasböden verloren. Die Wüste, die sich voranschiebt, heißt wie das Werk – Gobi. JUTTA LIETSCH