: Verhältnis von 6 zu 1
Im Anfang war das Wort des Kirchentagspräsidenten
Von Jan Feddersen
Mittwoch, nach christlichem Verständnis der dritte Werktag der Woche, letzte Vorbereitungen in Nürnberg, der einstigen Gastgeberin von Reichsparteitagen, für den Evangelischen Kirchentag. Überall in der Stadt werkelt und bosselt und schraubert und malert es vor Vorbereitungslust. Das sieht nicht nach ultrahektischem Profistyle aus, der Aufbau geschieht offenbar in sympathischer Rätselhaftigkeit: „Sind wir überhaupt richtig für den Flammkuchenstand?“
Die Sonne scheint sehr, es herrschen keine klimawandlerisch tropischen Temperaturen. Am Hauptbahnhof spülen die ankommenden Züge die Gäste des Events aus. Am Abend soll es losgehen, „Jetzt ist die Zeit“ lautet das Motto – und noch nichts deutet darauf hin, dass mit der Eröffnung und finalem Kerzenleuchterfest in dann dunkler Umgebung alles in der Altstadt geflutet sein wird mit Leuten, die sich auf vier Tage Christliches, Debattöses und eventuell Klugmachend-Inspirierendes verlassen möchten. Es ist zugleich sehr schön, dass es seit dem ersten Evangelischen Kirchentag in Nürnberg, vor sagenhaft langer Zeit war das, 1979, als selbst die inzwischen Friedensbewegung der frühen Achtziger noch fern lag, also „Frieden schaffen ohne Waffen“ der Konsens war, dass es seit damals alles so ist wie immer. Nürnberg rüscht sich auf, macht sich schick – und den Rest besorgen die Menschen, die den Kirchentag besuchen – beten und spirituell erfrischt werden, manche Konfliktlagen sind immer eingepreist, so war es damals, so wird es auch diesmal sein.
Krieg und Frieden, Klimawandel, Gerechtigkeit, Inklusion und Diversität, sowieso auch Antirassistisches: Alles im Portfolio des Diskurses. Eine echte Welle macht aktuell nur der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der als Kirchentagspräsident fungiert – und damit als konsensuelle Figur über der ganzen Veranstaltung zu residieren hat, ein konservativ-liberaler Mann, der für Mediation steht, so heißt es. Aber der Zeitsagte er im Gespräch, dass er die von jungen Leuten ins Leben gerufene Diskussion über „Work-Life-Balance“ und Vier-Tage-Woche für das gesellschaftliche Gesamtgefüge nicht für förderlich hält.
So sagte er: „Mich ärgert, dass sie (also die Angehörigen der jungen Generation, die Red.) zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft. Am siebten Tage sollst du ruhen, heißt es in der Bibel. Das bedeutet ein Verhältnis von sechs zu eins. Und nicht, dass die Freizeit überwiegt.“ Das sorgte in den Sozialen Medien für heftige Reaktionen. Er verkenne, welchem Stress junge Menschen ausgesetzt seien, Zustände, die notgedrungen zu Erschöpfung führen und Wünsche nach mehr Freizeit hervorriefen. Darüber wird zu diskutieren sein.
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