: Kein Ort des Schutzes
Prozess Drei Jahre Haft wegen Missbrauchs für Kinderkrankenpfleger
Gefasst nimmt Michael N. sein Urteil auf. Der 29-Jährige schaut dem Vorsitzenden Richter Uwe Nötzel ins Gesicht, als dieser ihm erklärt, warum das Berliner Landgericht ihn für drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis schickt. Drei Jungen im Alter von sechs bis neun Jahren hatte N. von Juni bis November 2010 missbraucht – drei Kinder, die kurz zuvor wegen einer Gehirnerschütterung, eines epileptischen Anfalls und einer Chlorgasvergiftung auf die Intensivstation des Bucher Klinikums gebracht worden waren.
Nachts schlich der Pfleger zu ihren Betten und berührte die Genitalien seiner Patienten, die teils unter dem Einfluss starker Medikamente standen. Bei einem Jungen ging er so aggressiv vor, dass das Gericht dies als Körperverletzung wertete. Ungeheuerlich, an welchem Ort der Täter seine Opfer fand – einem Ort, so der Richter, an dem sie eigentlich besonders geschützt sein sollten.
Hoden abgetrennt
Michael N. trennte sich bei einem Selbstmordversuch in U-Haft einen Hoden ab, „um sich selbst zu richten“, wie sein Verteidiger Ulrich Dost erklärte. Der Schwerverletzte überlebte nur knapp und mit irreversiblen Hirnschäden. Er ist seitdem von der Hüfte abwärts gelähmt und hat Probleme, seine Hände zu bewegen. Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren und Worte zu finden.
Dennoch ist N. auch ein Sexualstraftäter, der – zumindest vor Gericht – nicht versucht, seine Taten herunterzuspielen oder seine Tat unter Ausschluss der Öffentlichkeit in dürren Sätzen zuzugeben. Glaubhaft versuchte er, sein „Schicksalspaket“ zu erklären, als das es der Vorsitzende Richter bezeichnet. Der Angeklagte spricht vom Leben eines pädophilen Mannes, „in dem es nicht viel Freude“ gab. Schon früh habe er seine fatale Neigung bemerkt, sich aber aus Angst und Selbstüberschätzung nicht zu einer Therapie entschließen können. Stattdessen operierte er seit Jahren mit dem synthetischen Opiat „Tramadol“, um seinen Trieb zu dämpfen – ein Umstand, der das Gericht veranlasste, eine verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen.
Erwiesenermaßen nahm N. das Medikament in sehr hohen Dosen zu sich: Zweimal erlitt er deswegen sogar einen epileptischen Anfall. Im Anschluss unterzog er sich zwar einer Psychotherapie, aber auch hier verschwieg er seine Pädophilie. Als er dann im Sommer 2010 von der Neugeborenenabteilung zur Kinderintensivstation wechselte, dauerte es nicht lange, bis es zum ersten Übergriff auf einen Neunjährigen kam.
Wochen später offenbarte sich dieses Opfer seinen Eltern, berichtete etwas von „Berührungen am Geschlechtsteil“. Der Verdacht sei jedoch so vage gewesen, dass es „unprofessionell“ gewesen wäre, sofort die Klinik zu informieren, betonte der Staatsanwalt. Er stellte sich damit gegen Vorwürfe, die Behörde habe zu spät reagiert.
N.s Verteidiger will ihm raten, das Urteil anzunehmen. Ob er die Haft jemals antreten wird, ist jedoch fraglich. Momentan gilt er als haftunfähig. UTA EISENHARDT