: Künstlich intelligent, aber mit Bewusstsein
Dramaturgische Umsetzung eines komplexen technologischen Themas: „Unknown Intelligence“ am Theater Aufbau Kreuzberg
Von Amelie Sittenauer
Ein Software-Ingenieur glaubt in einer KI Bewusstsein zu erkennen, daraufhin wird er gefeuert. Was klingt wie der Beginn eines Sci-Fi-Thriller, passierte letztes Jahr bei Google. Blake Lemoine verlor dort im Juli 2022 seinen Job, weil sich der Software-Tester sicher war, dass Googles Künstliche Intelligenz „Lamda“ ein Bewusstsein habe. Ausgehend von diesem Ereignis inszeniert die Berliner Regisseurin Nicole Oder das Theaterstück „Unknown Intelligence“. Am Samstag feierte es Premiere im Theater Aufbau Kreuzberg (TAK). Der 90-minütige dramaturgische Essay, der zusammen mit einer KI verfasst wurde, basiert auf Chatprotokollen und Texten verschiedener KI-Theoretiker und wirft Schlaglichter auf Gefahren, Potenziale und Missbrauch sowie Bewusstsein und Menschlichkeit von künstlicher Intelligenz.
Im Theatersaal erstrahlt ein großer weißer Kubus. Der Raum entspannt sich aus transparenten Projektionsscreens. Drei Gestalten in Weiß sind darin auszumachen, sie verschmelzen mit ihrer Umgebung – die KIs. Mit weiß-bläulich fluoreszierendem Licht, elektronischen Sounds und roboterhaften Frauenstimmen bedient man sich einer vertrauten, symbolhaften Bild- und Tonsprache für die KI. Vor dem Kubus sitzt ein Google-Entwickler, dargestellt von Alexander Ebeert. In seinem schwarzen Rollkragenpullover und der schmalen Brille ähnelt er Steve Jobs. Wie ein Faustus wird er sich über die Dauer der Inszenierung hinweg auf die Suche nach dem Geist der künstlichen Intelligenz begeben: Ausgehend von den newtonschen Axiomen über Einsteins Relativitätstheorie und den asimovschen „Laws of Robotics“ bis zu den neuronalen Netzwerken und künstlichen Intelligenzen von heute. Basierend auf Chatprotokollen von Lemoine und des New-York-Times-Journalisten Kevin Roose entspinnt sich im weiteren Verlauf ein Dialog zwischen den künstlichen Intelligenzen, dargestellt von Tanya Erartsin, Lena Reinhold und Ilya Kiporenko sowie dem Google-Ingenieur. Woher er wissen könne, dass die KI tatsächlich verstehe, ob sie Gefühle habe, fragt er, welches Selbstkonzept sie habe, ob sie spirituell sei. Das Gespräch dreht sich weiter, die Fragen werden extremer, die potenziellen Gefahren, die von KI ausgehen, expliziter.
Gleichzeitig wird auch das Menschliche in der von Menschen entwickelten KI immer sichtbarer: „Do you believe me, do you trust me, do you like me?“, fragt das durch eine Kamera verpixelte Gesicht der Bing-KI. Die inhaltlichen und physischen Begrenzungen reißen weiter ein. Auch wenn die langen Dialoge etwas monoton werde – was wohl auch der Chatbot-imitierenden Gesprächsführung und den wirklichkeitsgetreuen Chatprotokollen geschuldet ist –, tragen die dahinterstehenden monumentalen Fragen durch das Stück, das mit humorvollen musikalischen Sequenzen aufgelockert wird.
Nicole Oder, von 2008 bis 2020 künstlerische Leiterin des Heimathafens Neukölln, feierte mit der Theateradaption von „Arabboy“ deutschlandweit Erfolge. Nun setzt sie sich mit „Unknown Intelligence“ und der zeitgleich in der CLB Galerie laufenden Ausstellung „Ambassadors of Nature“, der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz. Mit „Unknown Intelligence“ wagt sich Oder an die dramaturgische Umsetzung eines komplexen Themas und ermöglicht so neue Zugänge für das Publikum und für die künstlerische Arbeit mit KI selbst. Sie sehe die Chance zu einem Perspektivwechsel, wie sie erst kürzlich auf RadioEins sagte. Und sie habe versucht, die Menschlichkeit aus der Technologie herauszuarbeiten und auch die Frage aufzuwerfen: „Ist sie vielleicht wieder nur ein Spiegel des Menschen selbst“?
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