: Gefälschte Größe
RAUBKUNST Barbara Bongartz stellt heute Abend im Literaturhaus in der Fasanenstraße ihren raffiniert erzählten Kriminalroman „Perlensamt“ vor
Sein jüdischer Name trügt. David Perlensamt ist deutsch-französischer Abstammung, der Name angenommen. Vom Vater, der über die Hintergründe der Namenänderung schweigt. So erzählt es David Perlensamt, als der New Yorker Kunstexperte Martin Saunders, der in der Berliner Dependance eines international renommierten Auktionshauses arbeitet, zufälligerweise seine Bekanntschaft macht.
In Saunders’ Umfeld dreht sich traditionellerweise alles um Namen. Schon weil die gehandelte Kunst, die Juwelen und Möbel unerlässliche Begleiterscheinung von Namen sind. Gleichzeitig verspricht sie bislang Namenlosen, eher früher als später Bekanntheit zu erlangen, kaufen sie nur fleißig, was der Markt hergibt.
In diesem Umfeld erwartet man auch von den Angestellten Namen, schließlich befördert die Zugehörigkeit der Experten zu den gleichen Kreisen, in denen die Klientel zu Hause ist, das Geschäft. Entsprechend liebt man in der Firma das Spiel, Neulinge auf ihre „Provenienz“ hin zu prüfen. Martin Saunders’ ungewisse deutschstämmige Herkunft ist da kein Trumpf, umso weniger, als sie einen kardinalen Punkt von Provenienz berührt. Denn viel zu viele Kunstschätze, um das Auktionsgeschäft nicht zu tangieren, wurden gestohlen – als es die Zeitläufte hergaben.
Anders als bei Saunders sticht David Perlensamts eigentlicher Name David Paul Viktor Abetz im Provenienzspiel, behauptet er doch, Erbe der Kunstsammlung von Otto Abetz zu sein, seines Großvaters, der sich als deutscher Botschafter im besetzten Paris seinen Anteil am Kunstraub der Nazis sicherte. Doch weil Saunders’ ebenfalls namenlose Kollegin Mona gleich zu Beginn von Barbara Bongartz’ Roman „Perlensamt“ die Frage von Provenienz mit dem Begriff der Wahlverwandtschaft verknüpft und erklärt, der wahre Familienroman handle von Wahlverwandten, ist man schon vorgewarnt, wenn die Sammlung und ihre Genealogie am Ende eine Erfindung Perlensamts sind.
Mit „Perlensamt“ hat Bongartz eine als Kriminalroman maskierte Kolportage geschrieben, allerdings literarisch raffiniert erzählt. Rekursiv spiegelt eine Herkunftsgeschichte die andere, die die folgende oft negiert, die darauf folgende aber wieder reflektiert. Keiner Geschichte ist richtig zu trauen. Alle sind sie zuvorderst Erzählungen, Versuche, im größeren historischen Zusammenhang von Nationalsozialismus, Krieg und Kunstraub, Provenienz zu rekonstruieren.
Raffiniert erzählt
Angesichts realer genealogischer Tragik mag der unerhörte Wunsch von David Perlensamt, sich zum Erbe einer Nazigröße, eines Arisierers und Kunsträubers zu stilisieren, der, um Wiedergutmachung und Rückgabe bemüht, die Talkshows bereist, ein marginaler, polemischer Einfall sein. Anders verhält es sich in Hinblick auf die heute gesellschaftlich gängige Wahrnehmung, die in allen Begebenheiten, selbst dem politischen Verbrechen, immer nur Material zur Selbstinszenierung erkennt. Mochte früher die Kunstsammlung ein dem Selbstmarketing dienliches, weil „namengebendes“ Versprechen sein, tut es jetzt auch die Raubkunstsammlung. Schließlich liefert sie Grund zur Betroffenheit. Und Betroffenheit legitimiert die wundersamsten Wahlverwandtschaften, in denen „Nazis zu Juden und Juden zu Nazis und Enkel zu Tätern und Täter zu Opfern und ganz gewöhnliche Leute zu Aristokraten“ werden, wie Mona sagt.BRIGITTE WERNEBURG
■ Barbara Bongartz: „Perlensamt“. Roman. Weissbooks, Frankfurt am Main 2009, 324 Seiten, 19,80 €■ Buchpremiere am 2. September im Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 23, 20 Uhr