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Archiv-Artikel

Jaulen, bis die Nerven reißen

In Köln gibt es Biergärten und es gibt Autoalarmanlagen – eine unselige Mischung

Biergartensitzen in Köln geht so: hinhocken, Kölsch ordern, Autoalarmanlagen zuhören. Nach circa fünf Minuten steht der erste Biergartenbesucher auf und brüllt: „Mach doch endlich mal einer die Scheiße aus!“ Macht aber keiner. Vermutlich, weil sein Brüllen wegen der jaulenden Sirene sowieso keiner hört.

Wahlweise liegt es auch daran, dass der potenzielle Autodieb noch nicht ganz fertig ist mit dem Türaufbrechen. Oder der Besitzer der jaulenden Karre steht gerade bei der Kölner Bäckereikette Oebel, um sich dort ein „Oebelchen“ zu kaufen, und denkt sich dabei im Stillen: „Welcher Depp lässt da wieder sinnlos seine Autoalarmanlage heulen, während ich mir hier in Ruhe ein Oebelchen kaufen möchte?“ Wobei ein Oebelchen übrigens ein recht unnützes Brot von der Größe eines Brötchens ist und hier nur erwähnt werden soll, weil der Kölner Biergartenhocker quasi täglich zerknirschte Autobesitzer mit Brot unterm Arm zu ihren jaulenden Karren hetzen sieht. Dabei jammern sie gern entschuldigende Sätze wie: „Ich war doch nur schnell ein Oebelchen kaufen; wie konnte das nur passieren?“ Nie habe ich bisher erlebt, dass auf diese Frage jemals eine befriedigende Antwort gegeben wurde. Zumindest nicht von den genervten Biergartensitzern. Die interessieren sich nicht für das Wie. Die wollen nur wissen, wann das Gejaule aufhört.

Von der Legende, dass da eventuell böse Diebe schuld und am Werk gewesen sein könnten, hält der harmoniesüchtige Biergartensitzer wenig: Ist doch albern! Wer bricht schon am helllichten Tag ein Fahrzeug auf, das direkt neben einem überfüllten Biergarten parkt?

Der Legende nach soll es zwar einmal einen Fall gegeben haben, bei dem tatsächlich ein penetrant misstrauischer Zeitgenosse zu einem ruhestörenden Vehikel hintrabte und dort einen Herren mit Drahtbügel im Fahrerschloss vorfand. „Naaaaa?“, soll der penetrant misstrauische Zeitgenosse da argwöhnisch gefragt haben. „Wollen Sie das Auto etwa klauen, oder ist das Ihrs?“ – „Natürlich ist es meins!“, soll der Herr mit dem Draht daraufhin entrüstet erwidert haben. „Ich wollte nur schnell ein Oebelchen kaufen und habe mich versehentlich ausgesperrt, weshalb ich nun mein eigenes Auto aufbrechen muss.“ Da entschuldigte sich der penetrant misstrauische Zeitgenosse beschämt für seinen äußerst dummen Argwohn und half dem Autobesitzer eilig die Seitenscheibe einzuschlagen, damit der arme Mann endlich die nervige Sirene abstellen und davonfahren konnte. Alle Biergartensitzer sollen dem solchermaßen geläuterten Zeitgenossen daraufhin erleichtert zugejubelt haben.

Eine schöne Geschichte! Aber vermutlich ist wenig Wahres daran. Eher noch an der weniger ergötzlichen Fortsetzung der Geschichte, nach der besagter Zeitgenosse in dieser Nacht friedlich in seinem Bettchen schlummerte, während draußen völlig ohne Grund seine eigene Autoalarmanlage losging. Sie heulte die ganze Nacht, und alle Nachbarn konnten nicht schlafen, bis sich endlich einer von ihnen ein Herz fasste und mit einem bereitstehenden Kinderdreirad so lange auf das Auto einschlug, bis das Gejaule erstarb und das Auto nur noch Schrott war. Dieser Jemand war ich. Die Kölner Polizei verlieh mir das Bundesverdienstkreuz am Band. FRANK M. ZIEGLER