: Reichhaltige Region
Das 27. Bremer „Symposium zum Film“ widmet sich erstmals einer Weltgegend: Bis Samstag gibt es Filme und Diskurs über „Lateinamerika und das Kino“
Von Wilfried Hippen
In einem Kino filmwissenschaftliche Vorträge halten – und dazu die Filme zeigen, auf die sie sich beziehen: Die Idee ist so einleuchtend, dass es verwundert, wenn das Internationale Bremer Symposium zum Film auch nach 27 Jahren noch eine Ausnahmeveranstaltung im deutschsprachigen Raum ist. In früheren Jahren bezog sich das Symposium – eine Kooperation zwischen der Bremer Universität und dem Kommunalkino City 46 – immer direkt auf den Film: Man widmete sich einzelnen Gattungen wie dem Horror-, Reise- oder Tierfilm oder auch Themen wie „Stars“, „Mainstreamkino“ oder „psychische Erkrankungen und Film“.
In diesem Jahr steht erstmals eine Filmregion im Mittelpunkt: Lateinamerika. „Daran bin ich nicht schuldlos“, sagt Organisatorin Delia Gonzáles de Reufels der taz. „Ich bin ja keine Filmwissenschaftlerin, sondern Historikerin und ich habe mir gedacht, es wäre doch interessant, einmal vom bisherigen Konzept abzurücken und zu schauen, was in einer Filmregion los ist.“ Schon angesichts der mehreren Tausend Filme, die in den vergangenen 100 plus Jahren in der Region produziert wurden, könnten das Programm diffus und beliebig werden – wie es dann doch gelungen sei, einen thematisch stimmigen Rahmen zu finden, erklärt Mitorganisatorin Christine Rüffert: „Wir beginnen immer damit, dass wir einen Aufruf in die Wissenschaftswelt schicken und fragen, wer gerade zu diesem Thema geforscht hat, und dabei haben wir gemerkt, dass es oft um bestimmte geschichtliche Traumata geht, die in den Filmen bearbeitet werden.“ Wichtig seien auch die Herstellung von Erinnerungen und das Verarbeiten historischer Erfahrungen, ergänzt Gonzáles. „Die Erfahrung von Zeit spielt in mehreren Filmen eine Rolle, und darum haben wir den Titel ‚Audiovisuelle Erinnerung‘ gewählt.“
Ein Thema sind dabei die historischen kolonialen Verstrickungen zwischen Europa und Lateinamerika – umso wichtiger findet Gonzáles es, dieses Symposium gerade in dieser Stadt abzuhalten: „Bremen hat eine lange Verbindung zur Geschichte von Lateinamerika. Man denke an Tabak, Schokolade und Kaffee. Bremen war ja mal die Stadt der Genusswaren.“ Aber auch in der jüngeren Geschichte gab es Verbindungen, so lebten in den 1970er-Jahren viele Flüchtlinge aus Chile in Bremen. Dazu gibt es nun zwar keinen passenden Film im Programm, aber in der Defa-Produktion „Blonder Tango“geht es zumindest um Chilen*innen, die in der DDR Asyl fanden. „Mit seiner etwas spröden Ästhetik wirkt der Film aus dem Jahr 1985 schon fast altertümlich“, sagt Rüffert, „doch er ist auch als binnenethnografisches Dokument interessant.“ Schließlich thematisiere er auch die Verhältnisse in der DDR.
Eine andere Variation: Juan Cáceres’„Perro Bomba“ (2019) erzählt von Haitianer*innen in Chile. Dieser Film war für Gonzáles eine Überraschung: „Er setzt etwas ins Bild, das ganz neu ist: In Santiago de Chile traf man vor zehn Jahren keine afroamerikanischen Menschen. Die Bevölkerung von Chile war weiß. Dann gab es auf einmal eine direkte Flugverbindung zwischen Port-au Prince in Haiti und Santiago, sowie die Möglichkeit, mit einem Touristenvisum einzureisen. So hat sich innerhalb einer kurzen Zeit eine große Diaspora von haitianischen Menschen gebildet.“
Christine Rüffert, Kuratorin
Für Rüffert ist es eine der Qualitäten des Symposiums, dass sich „aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Kino solch eine Bandbreite von sehr verschiedenen Filmen zu einem Thema ergibt, die alle eine Relevanz haben und, wenn man sie nebeneinander stellt, einen weiten Blick möglich machen“. Für sie selbst sei ist in diesem Sinne der brasilianische Spielfilm „Bacurau“ (2019) ein Höhepunkt: „Darin geht es um abgeschnittene Dörfer, die kein Wasser haben und deren Bewohner*innen zur Jagd durch eine Söldnertruppe freigegeben werden. Das wird verstörend aus der Perspektive von denen ganz unten gezeigt, aber dann schlägt der Film plötzlich eine ganz andere Richtung ein und ist nah an der Science Fiction sowie am Trash. Da schrecken die Filmemacher auch nicht davor zurück, zu zeigen, wie ein paar Leute geköpft und dann die Köpfe hochgehalten werden.“
Woraufhin es zu einer Diskussion kommt, wie sie das Symposium ja beabsichtigt: Was da zu sehen ist, „passiert zur Zeit in Lateinamerika leider allenthalben wirklich“, sagt Delia González. „Der Film zeigt eine Gewalt, die wir hier nur als filmisch wahrnehmen, die aber dort inzwischen alltäglich ist. Und deshalb bieten Filme wie dieser kein eskapistisches Vergnügen, sondern sie konfrontieren die Zuschauer*innen mit der Realität und zwingen sie dazu, hinzusehen.“
27. Internationales Bremer Symposium zum Film: bis Sa., 13. 5., Bremen, City 46.
www.city46.de/symposium
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