: Mitten in Khartum herrscht Krieg
Sudan versinkt im Machtkampf zwischen den beiden mächtigsten Generälen des Landes. Die bekämpfen sich jetzt mitten in der Hauptstadt, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung
Von Saskia Jaschek und Dominic Johnson
Am Telefon sind Schüsse zu hören. Viele Schüsse, direkt hintereinander. Nur wenige Sekunden hören sie auf, dann beginnen sie von Neuem. „Hörst du das? Die schießen ununterbrochen!“, berichtet der Gesprächspartner in Sudans Hauptstadt Khartum. „Kugeln sind schon in unserem Hof gelandet, eine Kugel ist in das Haus eingedrungen!“, berichtet er. „Wir bleiben weg von den Fenstern, Gott sei Dank haben wir genug zu essen. Wir versuchen uns abzulenken.“
Am Samstagmorgen wachten die Menschen in Khartum zum Geräusch von Schusswaffen auf. Zwischen Sudans Streitkräften (SAF) unter der Leitung von Sudans Präsident General al-Burhan und der paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF) unter der Leitung von General Daglo, auch Hametti genannt, kommt es zum offenen Machtkampf auf den Straßen Khartums.
Im Laufe des Tages wird das noch dramatischer durch den Einsatz von Raketen und Kampfjets durch das Militär, die Stützpunkte der RSF aus der Luft angreifen. Nach Angaben der sudanesischen Ärztevereinigung von Sonntag früh sind innerhalb von nur 24 Stunden 56 Zivilisten gestorben, 600 Verletzte gibt es. Auch in anderen Städten Sudans wird gekämpft.
„Das ist ein echter Krieg“, berichtet eine junge Frau. „Das ist nicht mehr Militär gegen unbewaffnete Revolutionäre, das sind zwei ausgebildete Einheiten gegeneinander.“
Die Hauptkontrahenten sind die beiden mächtigsten Figuren der sudanesischen Politik seit dem Sturz des Langzeitdiktators Omar Hassan al-Bashir durch das Militär infolge eines Volksaufstandes am 11. April 2019. Der eine als Chef der Armee ist General Abdelfattah al-Burhan, der einen Tag nach Bashirs Sturz Vorsitzender eines Militärrates und damit Staatspräsident wurde und dieses Amt bis heute hält. Der andere, Chef der Rapid Support Forces (RSF), eine aus Bashirs Terrormilizen in der westsudanesischen Region Darfur hervorgegangene paramilitärische Truppe mit eigenen Befehlsstrukturen, ist General Muhammad Hamdan Daglo, im Sudan als „Hametti“ bekannt. Er ist Nummer zwei im Militärrat. Beide Generäle hegen große politische Ambitionen. Der 62-jährige Burhan steht für die alte Garde, der 49-jährige Hametti sieht sich als Vertreter einer jungen Generation. Um Burhan hat sich das militärische Establishment der Bashir-Ära versammelt, das Sudans Staat und Wirtschaft kontrollierte; Hametti wurde eher in der Landnahme in Darfur und in der informellen Goldwirtschaft reich. Hametti behauptet, er stehe Sudans Demokratiebewegung näher, deren monatelanger Volksaufstand 2019 Bashirs Sturz erzwang.
2021 setzten Burhan und Hametti gemeinsam die 2019 gegründete zivil-militärische Übergangsregierung Sudans ab. Ein Jahr später schlossen die Militärs mit Sudans Demokratiebwegung, zusammengeschlossen in den „Kräften für Freiheit und Wandel“ (FFC), ein neues Abkommen für eine erneute Machtteilung hin zur Demokratisierung. Ein „Final Agreement“ darüber hätte am 1. April 2023 unterzeichnet werden sollen. Der Termin wurde auf den 6. April verschoben und dann abgesagt – weil sich Burhan und Hametti in einer Frage nicht einig wurden, nämlich in ihrem Verhältnis zueinander.
Der Streitpunkt: Was wird aus Hamettis Miliz RSF? Sie hat formal den Status einer Grenzpolizei, ist an allen Flughäfen und Außengrenzen des Landes präsent, verfügt über moderne Waffen und geschätzt 70.000 Soldaten. Eine Militärreform, die paramilitärische Verbände wie die RSF in die Streitkräfte eingliedert, gilt als Kern des Aufbaus einer zivilen demokratischen Ordnung in Sudan. Aus Burhans Sicht ist das kein Problem: Hametti soll seine Miliz einfach der Armee übergeben. Aus Hamettis Sicht geht das so überhaupt nicht, er will eine Neustrukturierung der Streitkräfte, aus der er selbst mit einem hohen Posten hervorgeht, und das soll nicht die aktuelle Militärregierung machen, sondern eine gewählte Zivilregierung, auf die er sich mehr Einfluss erhofft.
Zuletzt war im Gespräch, dass die Integration der RSF zwar vor den geplanten Wahlen beginnt, aber erst viel später endet – von bis zu zehn Jahren war die Rede. Noch während dieser Kompromiss ausgefeilt wurde, entstanden aber in einigen Landesteilen neue Milizen, mutmaßlich aus dem Umfeld des Exdiktators Bashir. Wenn die RSF nur mehr eine Miliz von vielen ist, die alle in die Armee integriert werden müssen, wird Hametti automatisch unwichtiger.
Angeblich zu Übungszwecken zog die RSF schon vor Wochen Truppen in Khartum zusammen. Am vergangenen Donnerstag verurteilte Sudans Generalstab eine „gefährliche“ Eskalation seitens der RSF, die „ohne Billigung oder Abstimmung“ Truppen aufmarschieren lasse. Neben Khartum ging es dabei auch um die Luftwaffenbasis Meroe 200 Kilometer nördlich von Khartum, auf der MiG-29-Kampfjets der Luftwaffe stehen, sowie um Städte in Darfur, historische Hochburg von Hamettis Miliz. Dort kämpfte sie vor zwanzig Jahren im Staatsauftrag unter dem Namen „Janjaweed“ Rebellen nieder.
Bewohner von Khartum
Am Samstag nahm die RSF in Meroe mehrere Dutzend ägyptische Soldaten gefangen und übernahm auch die Kontrolle über den Flughafen von Khartum. Sudans Militär schlug mit Luftangriffen und Artillerie zurück – mitten in der Hauptstadt. Es entwickelten sich schwere Straßenkämpfe. Am Abend erklärte die RSF, sie habe die Kontrolle über den Präsidentenpalast und des Hauptquartier der Streitkräfte in Khartum errungen sowie über die Militärzentralen in anderen Städten, sie kontrolliere auch die Medien und den Luftraum. Die Militärregierung dementierte.
Nun finden die Auseinandersetzungen mitten in den Wohngebieten statt, zwischen den Häusern. Aus der Nachbarschaft „Khartum 2“ berichtet ein verzweifelter Einwohner: „Wir sind gefangen. Sie hören nicht auf zu schießen. Wir wissen nicht, was wir tun sollen.“ Viele Häuser in Khartum sind offen gebaut, mit einem Hinterhof und offenen Fenstern. Es gibt Berichte über Zivilist:innen, die in ihren Häusern von Kugeln getroffen wurden. Menschen berichten, dass sie über Stunden auf dem Boden liegen. Wenn die Schießgeräusche kurzzeitig aufhören, nutzen sie die Gelegenheit, um sich aufzurichten oder etwas zu essen. Auf Social Media teilen sie Anleitungen zur Ersten Hilfe bei Schussverletzungen und wie sie sich vor den durch die Luft fliegenden Kugeln und Streubomben schützen können.
Bilder eines jungen Mädchens im Kindergartenalter werden umhergeschickt. Das Mädchen wurde von einer Kugel getroffen und getötet. Es herrscht Betroffenheit und Verzweiflung. „Wir haben die Kinder unserer Familie unter ihren Betten versteckt, möge Gott sie beschützen,“ teilt ein Nutzer als Ratschlag. Internationale Krisentreffen am Sonntag forderten vergeblich ein sofortiges Ende der Kämpfe. Das UN-Welternährungsprogramm WFP stellte seine Arbeit in Sudan ein, nachdem drei WFP-Mitarbeiter in Darfur getötet wurden.
„Ich denke, dass auf lange Sicht das Militär gewinnen wird“, sagt ein junger Aktivist aus Khartum. „Das ist ein richtiges Militär, die sind ausgebildet, nicht so wie die Milizen.“ Hoffnung sieht er trotzdem nicht. „Wenn Burhan das gewinnt, dann wird er Propaganda für sich machen. Er wird sagen, dass er derjenige ist, der die Milizen endlich besiegt hat. Und dann wird er der alleinige Herrscher, weil es dann niemanden mehr gibt, der ihm gegenübersteht. Und die Menschen werden ihn dafür unterstützen, dass er die Milizen besiegt hat.“
Viele Menschen hoffen auf einen Sieg des Militärs. Nicht so die jungen Revolutionär:innen, die bei ihren Protesten der vergangenen Jahre die Gewalt des Militärs zu spüren bekamen. Sie sehen in einem Sieg Burhans ein Ende der Revolution. Sie haben den Sturz der Übergangsregierung 2021 nicht vergessen, ebenso wenig wie die Massaker an Protestierenden 2019. Die FFC-Koalition hält Islamisten aus dem Lager Bashirs für die Strippenzieher des neuen Krieges, der Sudans Demokratisierung sabotieren solle.
„Egal wie es ausgeht, die Zivilisten werden die Verlierer sein“, sagt ein Mitglied der Widerstandskomitees. Ein junger Mann beschreibt seine Gefühle: „Das ist typisches Sudan-Chaos. Ich bin noch nicht mal überrascht. Aber ich bin so enttäuscht. Und es tut mir leid für mein Land.“
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