piwik no script img

Die Rotkutten-Bewegung

Roter Umhang und weiße Haube haben sich in vielen Ländern als Uniform des feministischen Protests durchgesetzt. Warum ausgerechnet die Mägde-Tracht aus Margaret Atwoods Romanen?

Eine Uniform hat viele Funktionen. Einerseits entindividualisiert sie die Person, die sie trägt, andererseits gewinnt diese Person durch sie an öffentlicher Wirkung, wird sie doch erkennbar als Teil eines größeren Ganzen, eines Gruppenwesens. Häufig ist mit einer Uniform gesellschaftliche Macht verbunden. Manchmal dient sie auch der Kennzeichnung eines Stigmas, wie etwa die Einheitskleidung von Gefangenen.

Auf die knallroten Umhänge, in ­denen derzeit in Israel Frauen gegen die drohende Demontage der un­abhängigen Justiz und gegen frauenfeindliche Initiativen der Ultrareligiösen auf die Straßen ziehen (und gegen die ultraorthodoxen Parteien, die in der Regel keine Frauen als Mitglieder aufnehmen), trifft all das gleichzeitig zu. Die Kanadierin Margaret Atwood, die für ihren Roman „The Handmaid’s Tale“ einst rote Umhänge und weiße Hauben als Uniform von als Gebärsklavinnen missbrauchten Frauen ersann, ist eine subversive Autorin. Die „Handmaid“-Robe enthält viele Konnotationen: Einerseits ist sie eine Kennzeichnung der Unterdrückten. Die nonnenhafte weiße Haube, Symbol der Züchtigkeit und Zurückgezogenheit, behindert ihre Trägerinnen in der sinnlichen Wahrnehmung; sie schränkt den Gesichtskreis ein und dämpft das Gehör. Der formlose rote Umhang entzieht den Körper den Blicken der Umwelt und macht es seiner Trägerin durch seine Signalfarbe gleichzeitig unmöglich, sich zu verbergen. Doch die Zwangstracht verleiht auch geheime Macht: Niemand kann sehen, ob und was die Frauen hinter ihren Hauben miteinander sprechen. Niemand kann sehen, was unter den Umhängen ist. Niemand weiß, wer in so einer roten Kutte steckt. Das Wichtigste aber: Die Farbe Rot ist nicht nur ein Symbol der Fruchtbarkeit, sondern, umgedeutet, mehr noch die Farbe der Wut, des Aufruhrs, der Revolution!

Für die Popularisierung des Dresses sorgten Streamingdienste: Die Fortspinnung von „The Handmaid’s Tale“ als Serie, die seit 2017 über inter­nationale Bildschirme flimmerte, hat das rot-weiße Outfit bekannter gemacht, als ein Roman es je vermocht hätte. In Argentinien, den USA, Irland und Polen haben Frauen (und ver­mutlich auch ein paar Männer) während der vergangenen Jahre in Hauben und roten Kutten gegen frauenfeindliche Gesetze demonstriert. Nun also Israel.

Durch die internationalen „Hand­maid“-Proteste wird unter anderem sichtbar, wie weit der Einflussbereich von Netflix und Co. reicht, aber nicht nur das. Aus dem Iran sind bisher keine Bilder von roten Umhängen und weißen Hauben bekannt geworden, nur in London wurde das Symbol zum Protest gegen das iranische Regime genutzt. Formen des politischen Protests sind abhängig von dem öffentlichen Diskurs, auf den sie sich beziehen. Die Mägde-Tracht ist offenbar vor allem ein Code der westlich geprägten Seriengemeinschaft. Ein Zeichen, das zeigt, wie weit die sogenannte kulturelle Globalisierung reicht. Zugleich zeigt die Kutte an, dass es in vielen Teilen dieser westlichen Wertegemeinschaft um die Rechte von Frauen immer noch nicht zum Besten steht.

Katharina Granzin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen