: Rot-grüner Durchmarsch
NRW SPD und Grüne erzielen bei größter Landtagswahl des Jahres überraschend klaren Sieg. Linke fliegt aus dem Landtag. FDP ist drin, ebenso stark wie die Piraten. Schwere Niederlage für CDU-Spitzenkandidat Röttgen
VON ULRIKE WINKELMANN
BERLIN taz | Am Ende war die Sache doch nicht so knapp wie zwischenzeitlich gedacht. Laut den ersten Prognosen erreichten SPD und Grüne bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zusammen gut 50 Prozent und damit eine klare Mehrheit im Landtag. Damit kann die Regierung in Düsseldorf unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ihre Arbeit fortsetzen – und ist nun auch nicht mehr auf die Stimmen aus anderen Fraktionen im Landtag angewiesen.
Nach den Ergebnissen von 18 Uhr konnte die SPD mit 38 Prozent der Wählerstimmen ihr Ergebnis von 2010 um fast 4 Prozentpunkte verbessern. Die Grünen hinter Bildungsministerin Sylvia Löhrmann bekamen 12 Prozent und blieben damit beim 2010er Ergebnis. Eine schwere Niederlage erlitt die CDU, die mit Spitzenkandidat Norbert Röttgen, dem Bundesumweltminister, gegenüber dem 2010er Ergebnis rund 10 Prozentpunkte verlor und auf 25,5 Prozent kam. „Das übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen“, kommentierte CDU-Generalsekretär Peter Altmaier.
Die Linkspartei kann mit kaum 3 Prozent gar nicht mehr in den Landtag einziehen. Neu dabei sind dagegen die Piraten mit 8 Prozent. Die FDP, die bundesweit seit Monaten nur knapp über der Wahrnehmungsschwelle dümpelt, konnte mit 8,5 Prozent ihr Ergebnis von 2010 sogar verbessern.
Die Neuwahl in Nordrhein-Westfalen nach kaum 20 Monaten rot-grüner Minderheitsregierung war angesetzt worden, nachdem Mitte März die Abstimmung über den Haushalt 2012 im Landtag scheiterte. Es war Kraft nicht gelungen, Linkspartei oder FDP zur Zustimmung über einen zunächst unwichtig erscheinenden Unterpunkt des Gesamtetats zu bewegen.
Nun ist die Ministerpräsidentin die Hauptprofiteurin der wie ein Unfall daherkommenden Neuwahl. Ebenfalls gestärkt ist FDP-Landeschef Christian Lindner, der mit der Spitzenkandidatur in NRW sein politisches Comeback startete. Ihm sagen viele Liberale nach, auch ein besserer Vorsitzender für die Bundespartei als Philipp Rösler zu sein.
Die Wahl im größten Bundesland gilt bei 13,2 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern als „kleine Bundestagswahl“, doch haben offenbar nur knapp 60 Prozent von ihnen die Gelegenheit zur Stimmabgabe auch genutzt.
Wichtigste Themen des Wahlkampfs waren der fortgesetzte Streit über den Landeshaushalt. Doch scheint der Versuch von CDU und FDP, Kraft zur „Schuldenkönigin“ zu stempeln und ihr Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, bei der Mehrheit der WählerInnen nichts gefruchtet zu haben. Kraft hat ihrerseits sich auch von der Linie der SPD-Spitze abgesetzt und die Aufnahme neuer Schulden zugunsten sinnvoller sozialer Investitionen verteidigt. Vor Gericht scheiterte sie im März 2011 damit freilich einmal und musste damals ihren Landeshaushalt neu ordnen.
Die Grünen haben sich in NRW fest an die SPD gebunden. Bei offiziell behauptetem „keine Ausschließeritis“-Kurs ließen sie doch zu keinem Zeitpunkt Zweifel an ihrer rot-grünen Gesinnung aufkommen, obwohl mit Röttgen ein CDU-Kandidat antrat, der mehr als alle anderen aus der Unionsspitze als geeignet und offen für schwarz-grüne Bündnisse gilt. Eines der großen Projekte für die nun anstehende Legislaturperiode in NRW dürfte die Energiewende werden. Achillesferse für Rot-Grün wird in NRW der Kita-Ausbau bleiben, der ausgerechnet hier noch stärker hakt als anderswo.
In der strittigen Frage der Schulreform hatte das Bündnis im Juli 2011 dagegen mit der CDU einen „Schulfrieden“ geschlossen, der darauf hinauslief, nach den Vorstellungen der CDU eine weitere Schulform zu schaffen und das Gymnasium unangetastet zu lassen.