Alles ist gleich, nichts ist gleich

KONZEPTKÜNSTLER Die Londoner Serpentine Gallery feiert Hans-Peter Feldmann in seiner ersten Einzelausstellung in England

Seit Jahrzehnten archiviert sich Feldmann durch die Unendlichkeit der nachrückenden Bilder

VON JULIA GROSSE

Für 500 Euro haben fünf Frauen Hans-Peter Feldmann ihr Heiligstes zur Plünderung überlassen: die Handtasche. Der Besucher der Ausstellung kann sich gemächlich über die in Glaskästen ausgebreiteten Taschen beugen und den Inhalt inspizieren, wie bei der Spurensicherung. Details wie Ausstellungspostkarten verraten recht schnell, dass sie alle, zwischen New York und Berlin, irgendwie mit dem Kunstzirkus verbandelt sind, und unweigerlich laden diese Taschen auch dazu ein, einen Blick mitten in das stereotyp anmutende Psychogramm der „kreativen Frau“ zu werfen: Chaos! In einer Tasche mischen sich Geldstücke mit Bergen von Tabak, doch der Lippenstift muss von Chanel sein. Voluminöse, geklaute Anhänger von Hotelschlüsseln neben Schmerztabletten und Tampons zieren offizielle Einladungen zu Kunstpreisverleihungen.

Die Inszenierung ist längst zum Kernstück der Ausstellung geworden, um das sich permanent Besucher drängen. Der Düsseldorfer Künstler war den Briten bisher tatsächlich kaum ein Begriff, dabei ist „Feldmann in Europa ein Superstar!“, titelte die Londoner Financial Times. Die Resonanz ist gut, Presse und Besucher lieben die Schau. Ein deutscher Konzeptkünstler mit Humor, darauf haben sie lange warten müssen! Fotos von Autoarmaturen, daneben der Kommentar „Car radios while good music is playing“. Staubtrockenere Witze können auch die Briten nicht reißen.

Das fast zwanghafte Anhäufen unspektakulärer Themenkomplexe und regelrechte visuelle Abgrasen betreibt der 1941 Geborene nun schon seit fast fünf Jahrzehnten, immer wieder erfolgreich gebündelt und zusammengehalten in diversen Büchern, seitenweise voller Bilder. Nicht ohne Humor ist die Tatsache, dass man sich mitten im reichen Westlondon befindet und einen Künstler feiert, dessen Ideen von Produktion lange Jahre völlig losgelöst waren vom Geldverdienen mit der Kunst. „Bis Anfang der Achtziger erwartete man überhaupt nicht, mit seiner Arbeit reich zu werden“, sagte Feldmann kürzlich. In jener Zeit machte er, frustriert von der artworld, in Düsseldorf seinen Souvenirladen auf.

Kein Voyeur

Seine Fotografien, selbst aufgenommen, aus Magazinen oder anonymen Archiven, sind zum Teil von voyeuristischer Direktheit: das Paar, das sich gegenseitig unvorteilhaft ablichtet, Blicke unter Röcke oder eine Frau beim Fensterputzen. Und doch ist Feldmann kein gieriger Voyeur. Zwar nimmt er durch sein Sammeln und Starren viel, doch er gibt diese Offenheit auf eine absurd faire Art auch wieder zurück: seine 100.000 Dollar Preisgeld des Hugo Boss Prize pappte er Dollar für Dollar an die Ausstellungswand des Guggenheim Museums.

In der Serpentine Gallery blickt man auf großgezogene Fotografien seiner persönlichen, umfangreichen Bibliothek. Und im Eingangsbereich hängen Versionen seines Gesichts, grotesk festgehalten von Cartoonzeichnern. Was alles zusammenhält, die Fotos verschiedener Brotscheiben, Wolken oder ersteigerte Gemälde des Meeres, ist eine regelrecht philosophisch motivierte Beweisführung: Alles und gleichzeitig nichts ist gleich, und unser Kopf muss diesen Widerspruch Tag für Tag verarbeiten. Auf einer seiner „Time Series“ sieht man 36 Aufnahmen einer Frau im Gespräch.

Man realisiert, wie viele Mimiken wir machen, aber wie wenige eben auch. Manche Motive sind inhaltlich so ausgehöhlt, dass erst Feldmanns Akt des Neuarrangierens einen Bruch zulässt: Durch die Anhäufung von Eiffelturm-Postkarten wird klar, wie sehr jeder dieser Fotografen bemüht war, einen exklusiven Blick auf das Spektakel zu werfen – und natürlich scheiterte.

Feldmanns fantastisches „Shadow Play“, unzähliger Nippes und Spielzeuge, die sich drehen und unheimliche Schattenszenerien an die Wand werfen, scheint diesen unlösbaren visuellen Wahnsinn perfekt zu bündeln. Die Unendlichkeit der nachrückenden Bilder, durch die er sich seit Jahrzehnten archiviert, wird in der Ausstellung durchexerziert: Jeder Besucher bekommt ein kleines Foto der ganz jungen Queen, märchenhaft lächelnd und passend zum Thronjubiläum.

Die limitierte Edition schließlich, die man zu Ausstellungen in der Serpentine Gallery kaufen kann, ist bei Feldmann kurzerhand und konsequent eine unlimitierte geworden: Auf Dollarscheinen verpasst er George Washington eine rote Karnevalsnase, zum humorlosen Preis von 800 Pfund.

■ Serpentine Gallery, London, noch bis zum 5. Juni. Zur Austellung ist ein Interview-Band von Hans-Ulrich Obrist erschienen. 130 S., 29 Pfund