: Nato soll Opfer entschädigen
LIBYEN Menschenrechtsorganisation berichtet über den Tod von 72 Zivilisten während des Krieges 2011. Sie beklagt, dass die Vorfälle nicht zugegeben und untersucht wurden
BRÜSSEL/BERLIN afp/taz | Menschenrechtler machen die Nato für den Tod von 72 Zivilisten bei dem siebenmonatigen Militäreinsatz in Libyen im vergangenen Jahr verantwortlich. Unter den Toten seien 20 Frauen und 24 Kinder gewesen, erklärte Human Rights Watch (HRW), eine in Washington ansässige Organisation, am Montag bei der Vorstellung eines 76 Seiten umfassenden Berichts. HRW forderte die Militärallianz zu „sofortigen und angemessenen“ Entschädigungszahlungen an die betroffenen Familien auf. Bislang habe die Nato die Todesfälle aber nicht einmal zugegeben und auch nicht untersucht, wie und warum es dazu gekommen sei.
Von den Vorfällen an sieben Orten, die HRW untersucht hat, ereignete sich der schwerwiegendste mit 34 Toten in dem Dorf Majer 160 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis. Am 8. August 2011 um 23.30 Uhr bombardierten demnach Nato-Flugzeuge vier Häuser. Die ersten beiden Angriffe trafen drei Häuser, die zwei Familien gehörten. Kurz darauf erfolgte der dritte Angriff, der zahlreiche Personen tötete oder verletzte, die den zuvor Getroffenen zu Hilfe geeilt waren. Der vierte Angriff zerstörte das Haus einer der beiden Familien, das zu diesem Zeitpunkt nicht bewohnt war.
Mitarbeiter von HRW besuchte Majer einen Tag nach den Bombardierungen, erneut im Dezember 2011, sowie im Januar und Februar dieses Jahres. Die Menschenrechtler, die mit mehr als einem Dutzend Zeugen sprachen, fanden laut dem Bericht keinerlei Hinweise auf irgendeine militärische Aktivität oder Präsenz wie Waffen, Munition oder Kommunikationsanlagen. Satellitenaufnahmen vom 6. August, also zwei Tage vor den Angriffen, zeigen ebenfalls keine Zeichen von einer militärischen Präsenz. Gefunden wurde in einem der Häuser lediglich ein Hemd im militärischen Stil, wie sie in Libyen auch von Zivilisten getragen werden.
Die Nato erklärte zu dem Bericht, sie bedauere jeden zivilen Todesfall, den sie verursacht haben könnte. Nato-Sprecherin Oana Lungescu erklärte in Brüssel, das Militärbündnis sei Vorwürfen hinsichtlich ziviler Opfer stets nachgegangen. Ohne Einzelheiten zu nennen, sagte sie, Überprüfungen hätten ergeben, dass sich die Angriffe nur auf „legitime militärische Ziele“ gerichtet hätten. Zwar habe die Nato in Libyen alles dafür getan, „das Risiko für Zivilisten zu minimieren“. Es könne in so einem komplexen Einsatz aber nie „auf null“ reduziert werden. B.S.