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Klang und Körper

Jetzt ohne Fragen zur Zeit: Die MaerzMusik hat mit Kamila Metwaly eine neue künstlerische Leiterin und ein Programm, das Performance und „tiefes Hören“ vereint

Von Tim Caspar Boehme

Bei den Berliner Musikfestivals des ersten Quartals lässt sich im Titel einiges über deren Selbstverständnis ablesen. Das Musik­jahr beginnt im Januar mit Ultraschall Berlin, nüchtern als „Festival für neue Musik“ bezeichnet. Kurz darauf folgt mit dem CTM eine Anlaufstelle für „Adventurous Music and Art“, man sieht sich mithin als risikofreudig. Bei der am Freitag eröffnenden MaerzMusik war die Sache lange klar. Von 2002 an lief man als „Festival für aktuelle Musik“, was einen Hauch mehr nach Jetzt klingt als „neue Musik“. Wobei es gegen beide Adjektive in diesem Zusammenhang mögliche Einwände gibt. Dann übernahm 2014 der Musikwissenschaftler Berno Odo Polzer die künstlerische Leitung und machte aus der Veranstaltung ein „Festival für Zeitfragen“. Musik erschien da fast sekundär oder eher abgeleitet.

Mit dieser Ausgabe hat die Musikjournalistin, Musikerin und Kuratorin Kamila Metwaly die Nachfolge Polzers angetreten, nachdem sie im vergangenen Jahr das Programm als leitende Kuratorin mitgestaltet hatte. Als Gastkurator unterstützt sie der in Berlin lebende Komponist Enno Poppe. Eine markante Änderung sieht man auf Anhieb: Das Festival heißt fortan schlicht „MaerzMusik“, komplizierte Zusätze fallen weg. Nach 20 Jahren ist diese Lösung allemal ein eleganter Schritt. Man bekommt, so die Erwartung, einfach die Musik des Monats.

MaerzMusik war dabei immer schon ein Festival, in dem Performance und Diskurs neben den „konventionelleren“ Konzerten selbstverständlich zum Programm gehörten. Metwaly, die seit 2017 in Berlin lebt, entwickelte für den Kunstraum Savvy Contemporary etwa das Langzeitprojekt „Untraining the Ear Listening Sessions“, was unter anderem in Form von Performances geschieht.

Performances bilden denn auch einen Schwerpunkt dieser MaerzMusik. Den Auftakt macht diesen Freitag im Haus der Berliner Festspiele das Musik­theater „Hide to Show“ des deutschen Komponisten Michael Beil, dargeboten vom multidisziplinär arbeitenden Nadar Ensemble aus Belgien. Thema ist das Leben mit dem beziehungsweise im Internet, Memes und Deep­fakes inklusive. Ein weiteres Performance-Programm bestreitet dieses Wochenende am Sonntag die Vokalistin, Bewegungskünstlerin und Komponistin Elaine Mitchener unter dem Titel „On Being Human as Praxis“, ebenfalls im Haus der Berliner Festspiele.

Einen zweiten Schwerpunkt bildet der Komplex „Deep Listening“. Wo in Performances der Konzertbegriff ausgedehnt wird, lässt sich in diesem Fall von einer Vertiefung des Hörens selbst sprechen. Pflichtprogramm ist dafür zunächst die Begründerin dieses Ansatzes, die US-amerikanische Komponistin Pauline Oliveros. Der Dokumentarfilm „Deep Listening: The Story of Pauline Oliveros“ von Daniel Weintraub ist nächste Woche am Dienstag und Freitag in der Reihe „Library of MaerzMusik“ zu sehen. Zudem führt das Vokalensemble Phønix16 ihre „Sonic Meditations“ von 1971 an diesem Sonnabend im Silent Green auf. Das Konzert gehört zum „Grenzraum Hören“, vom Festival beschrieben als „kollektive Studie über das Hören an sich, die Grenzen des Hörens und die Räume, die durch einen erweiterten Begriff des Hörens entstehen – jene Räume, die zwischen Hörbarem und Unhörbarem unterscheiden“.

An den Grenzen des Hörens bewegt sich insbesondere der Komponist Jakob Ullmann, dem die Reihe „Grenzraum Hören“ gleich fünf Konzerte widmet. Sein Zyklus „Voice, Books and Fire II“ setzt sich mit dem Verhältnis von Musik und Sprache auseinander, durchaus auch in philosophischer Absicht. Ullmann ist noch ein bisschen zu entdecken, obwohl er dieses Jahr 65 Jahre alt wird. In der DDR aufgewachsen, arbeitete der Kriegsdienstverweigerer zunächst als Hausmeister oder Heizer, studierte parallel Kirchenmusik, später privat Komposition, da ihm ein staatliches Studium verwehrt war. Von 1990 an arbeitete er als freischaffender Komponist und wurde 2008 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in Basel.

Performance und Diskurs gehören neben „konventio-nelleren“ Konzerten selbstverständlich zum Programm

Ein im Grunde wieder zu entdeckender Komponist ist auch Mathias Spahlinger. Um den bis in die neunziger Jahre viel beschäftigten und für vielfältige Konzepte von Jazz bis Renaissancemusik offenen Spahlinger war es zuletzt etwas stiller geworden. Sein zwischen 2014 und 2019 entstandener asamisimasa-Zyklus für das ensemble asamisimasa aus Norwegen ist am Mittwoch in der Philharmonie als Uraufführung zu erleben.

Apropos Entdeckung: Hierzulande ziemlich unbekannt sein dürfte die US-amerikanische Komponistin Lucia Dlugoszewski. Im Sinne der Befreiung des Klangs entwickelte sie eigene Instrumente wie das „Timbre-Klavier“. Wie das klingt, ist nächste Woche Freitag im Haus der Berliner Festspiele zu hören, aufgeführt von der Pianistin Agnese Toniutti. Zwei weitere Werke der 2000 gestorbenen Dlugoszewski stellt am selben Abend das Ensemble Musikfabrik vor.

17. bis 26. 3., verschiedene Orte, www.berlinerfestspiele.de

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