crime scene
: Ein Zeitreisender in der Suppenküche

Auch dieses Buch selbst ist ein bisschen wie ein raffiniert komponierter Eintopf, bei dem jeder Löffel etwas anders schmeckt. Ein saftiges Stück Thriller ist mit drin, ein wenig Abenteuerroman, ziemlich viel Science-Fiction, eine Prise schräger Humor, und abgeschmeckt wurde das Ganze mit einem überlegenen Gespür für elaborierten Surrea­lismus. Leichen fallen eher nebenher an, wenn auch stellenweise massenhaft. Und es ist auch, zugegeben, ein ganz schön spektakulärer Mordfall, dem sich die Ermittler Yang Changgeun und Kang Do­yeong in der südkoreanischen Großstadt Busan gegenüber sehen: Ein toter Mann ist in einem Klassenzimmer aufgetaucht, mitten in einer saftigen Schülerschlägerei. Niemand hat den Fremden hereinkommen sehen, und auch wie er starb, ist unerklärlich.

Außerdem fehlt ihm ein gutes Stück seines Rumpfs, da es unfassbar säuberlich herausgeschnitten wurde – wie ein Stück aus einer Torte, sagt Ermittler Doyeong und schickt die Kollegen zum Kuchenessen in eine Konditorei, damit sie verstehen, was er meint. Und während die Polizisten (Polizistinnen gibt es hier nicht) zu ermitteln beginnen, dabei immer wieder auf verdächtige Typen treffen, die sich auffällig oft im Nacken kratzen, und alles immer nur mysteriöser wird, wissen wir LeserInnen etwas, das die Ermittler sich nicht einmal im Traum vorstellen könnten: Es gibt in ihrer Stadt Zeitreisende aus der Zukunft, und dieser tote Mann hängt irgendwie damit zusammen. (Aber wie, das wissen wir auch nicht.)

Ein solcher Zeitreisender ist die eigentliche Hauptfigur des Romans: Uhwan, ein Mann Mitte vierzig, der im Waisenhaus aufgewachsen ist und zeitlebens als Küchenhilfe gearbeitet hat, wird anno 2044 von seinem Chefkoch ins Jahr 2019 geschickt, auf dass er das Rezept einer besonders köstlichen Knochensuppe herausfinde, deren Zubereitungsweise über die Zeit verlorengegangen ist. In der Vergangenheit angekommen, gelingt es Uhwan, sich in dem gesuchten Suppenlokal als Aushilfe anstellen zu lassen. Zu seiner Bestürzung findet er bald heraus, dass der Sohn des Betreibers, ein motorradfahrender Schüler mit wilden Gewohnheiten, denselben Namen trägt wie sein eigener Vater, den Uhwan aber nie kennengelernt hat. Mehr noch: Die Freundin des Suppenkochsohns trägt denselben Namen wie seine Mutter, die er ebenso wenig je getroffen hat. Das merkwürdige Zusammentreffen stürzt Uhwan, der eine schlichte Seele ist, in Verwirrung und emotionale Turbulenzen und führt letztlich dazu, dass er eine fatale Entscheidung trifft …

Kim Young-tak: „Knochen­suppe“ (Band 1): „Der Mörder aus der Zukunft“. Aus dem Koreanischen von Hyuk-sook Kim und Manfred Selzer. Golkonda Verlag, München 2023, 384 S., 20 Euro

So weit eine stark reduzierte Zusammenfassung der Handlung. Alles, was dazwischen passiert, etwa das Erscheinen seltsamer Löcher in der Baustruktur eines Wohnblocks, der Einsturz einer großen Autobrücke oder auch die Begegnungen des jungen Suppenkochsohns mit mutmaßlichen Angehörigen des organisierten Verbrechens, ergibt insgesamt ein großes Knäuel verdächtiger und verwirrender Ereignisse, auf die man sich auch nach Lektüre dieses Buchs noch keinen endgültigen Reim machen kann. Aber Abhilfe naht, denn schon im Mai wird „Knochensuppe 2“ erscheinen. Wie es sich für einen echten Fortsetzungsroman gehört, endet Teil 1 mit einem Cliffhanger.

Die ermittelnden Polizisten treffen auf viele verdächtige Typen, die sich auffällig oft im Nacken kratzen

Die Einwohner des echten Busan – und alle, die schon einmal dort gewesen sind – dürften besondere Freude an diesem so originellen wie spannenden Roman haben. Denn die Stadt spielt eine sehr wichtige Rolle, insbesondere ihre Lage am Meer, aber auch die Atmosphäre in ihren Straßen, ihren öffentlichen Einrichtungen und nicht zuletzt ihren Suppenküchen. Ob man dort jemals Knochensuppe essen möchte, ist allerdings nach bisheriger Lektüre sehr unsicher. Katharina Granzin