: Wie er sich vor seinen Worten ekelt
Thomas Ostermeier hat „Die Möwe“ in der Schaubühne inszeniert. Das ist ganz nett, aber der Gegenwartsbezug zu zwanghaft
Von Katrin Bettina Müller
Hier wird ein doppeltes Spiel gespielt: eine Theateraufführung im Theater. Das ist beliebt und gelingt fast immer. Als Zuschauer auf der Bühne nehmen auf Gartenstühlen die Schauspielerin Arkadina und ihr Anhang Platz, darunter ihr Favorit, der Schriftsteller Trigorin, der Gutsverwalter mit Familie, Arkadinas Bruder und ein Arzt. Die Bühne ist eine Astgabelung in einer riesigen Platane, deren Äste, das ist der Clou im Bühnenbild von Jan Pappelbaum, auch weit über das Publikum in der Schaubühne reichen. Das ist eine Geste wie eine Umarmung.
Thomas Ostermeier hat „Die Möwe“ von Anton Tschechow in einer Fassung des Ensembles an der Schaubühne inszeniert. Das Stück im Stück ist von Arkadinas Sohn Konstantin geschrieben, der unbedingt neue Formen auf die Bühne bringen will und den Klassikern, die nur, weil da die Kasse klingelt, aufgeführt werden, den Kampf ansagt. Klar, schmunzelt da das Publikum, das ja nicht zuletzt deshalb an diesem Abend einen Klassiker von Tschechow gewählt hat, um sich des Unterhaltenwerdens sicher sein zu können.
Das Stück, das Konstantin mit der jungen Schauspielerin Nina aufführt, hat ein bisschen was von einem Pamphlet der Letzten Generation. „Seit Tausenden von Jahren ist die Erde unfruchtbar, und dieser arme Mond entzündet seine Lampe ganz umsonst. Auf der Wiese erwacht kein Kranich mehr mit einem Schrei und in den Lindenhainen hört man keine Maikäfer mehr. Kalt, kalt, kalt. Leer, leer, leer.“ Das steht so schon bei Tschechow, da muss nur noch ein bisschen mehr menschliche Hybris eingewoben werden, schon sind wir …
… nein, doch nicht in der Gegenwart, in deren Richtung ein paar Ideen der Inszenierung zwar verweisen, aber dann bleibt sie doch auf dem sicheren Grund von Arkadinas Gut. Die verlacht das Stück ihres Sohnes, verspottet ihn und die Situation eskaliert. Er läuft davon wie ein trotziges Kind, sie gibt die hysterische Diva.
Zwei Generationen mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen von der Kunst, vom Sinn des Lebens, von der Liebe prallen in dieser Komödie aufeinander: ein universelles Thema und doch berührt es in dieser Inszenierung wenig. Vieles unterhält in seiner Übersteigerung: Wie Stephanie Eidt als Arkadina ihre antrainierte Jugendlichkeit ausspielt gegen die depressive junge Mascha (Hêvîn Tekin) im gepflegten Existenzialistenlook. Wie Thomas Bading als Sorin ewig über sein verpasstes Leben seufzt, verpasst aus Schlafmützigkeit. Aber das alles ist furchtbar vorhersehbar. Die witzigsten Szenen, gerade weil sie eher trocken gespielt sind, gehören Joachim Meyerhoff als Schriftsteller Trigorin. Obwohl er sich vor sich selbst ekelt, himmeln die Frauen ihn an. Ist Kreativität nicht das Schönste auf der Welt, will die naive Kunstenthusiastin Nina (Alina Vimbai Strähler) von ihm wissen? Wie er dann beschreibt, wie er das ständige Verfassen von Notizen, das Konstruieren möglicher Geschichten als Zwang empfindet und wie furchtbar er sich ödet, wenn er die eigenen Texte wieder und wieder lesen muss, macht dem Klischeebild vom Künstlerglück einen schönen Strich durch die Rechnung.
Im Ganzen aber wirkt der Abend etwas zerfleddert, einzelne Szenen wie hineingeklebt, um etwas Gegenwartsbezug hineinzubringen. Aber der Baum auf der Bühne ist wirklich sehr schön.
Wieder am 9./10. März
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