Nach Erdbeben in der Türkei und Syrien: Hisbollah schickt Hilfsgüter
Syriens Opposition sieht die Hilfslieferung kritisch. In der Türkei retten Hilfskräfte drei Menschen nach 296 Stunden. Fußballer Christian Atsu wurde in Hatay tot geborgen.
Für Hisbollah-Anhänger Hussein Ahmed aus Beirut ist die Unterstützung der Erdbebenopfer in Syrien selbstverständlich, wie er sagt. Viele Libanesen, so der 18-Jährige, „die in den vergangenen Jahren an der Seite der syrischen Regierungstruppen gekämpft haben, sind nach Syrien geeilt, um bei Rettungsaktionen zu helfen.“ „Sie sind unsere Brüder im Krieg und bei Naturkatastrophen“, sagt die Syrerin Um Aihum, die ihr Zuhause in Latakia durch die schweren Beben verloren hat. Latakia steht unter Kontrolle der Regierung. Eigenen Angaben zufolge hat die Hisbollah etwa zwei Dutzend Lastwagen mit Hilfsgütern in die stark von den Beben getroffene Stadt am Mittelmeer geschickt.
Syriens Opposition sieht Hisbollah-Hilfe kritisch
Die syrische Opposition sieht die Hilfe der schiitischen Miliz dagegen kritisch. Die Hisbollah und Syriens Präsident Baschar al-Assad versuchten aus der Notlage der Menschen Profit zu schlagen, sagt der Sprecher des in Istanbul ansässigen Oppositionsbündnisses Syrische Nationale Koalition, Ahmed Ramadan. Er geht davon aus, dass die Hisbollah den Augenblick nutzen werde, um noch mehr Kämpfer, Waffen und Drogen ins krisengeplagte Nachbarland zu schmuggeln. Die Schiitenmiliz kontrolliere bereits jetzt die Grenzen sowie den legalen und illegalen Warenfluss zwischen beiden Staaten.
Anführer der Hisbollah sind laut einer Studie des in Washington ansässigen New Lines Institutes etwa schon lange ins lukrative Drogengeschäft in Syrien verwickelt. Die Milliarden-Erträge daraus sichern Experten zufolge das Überleben Assads in erheblichem Maße. Das Bürgerkriegsland stellt etwa im großen Stil Amphetamine her und schmuggelt die Drogen auch über den Libanon ins Ausland. Die Hisbollah soll daran kräftig mitverdienen.
Auch der Iran und Russland, die Assad unterstützen, liefern derzeit Hilfen für die Erdbebenopfer. Dem syrischen Präsidenten werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, darunter der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien.
Bergung nach 296 Stunden
Fast zwei Wochen nach dem Beben gibt es aus der Türkei noch vereinzelt Meldungen von Überlebenden in den Trümmern. Am Samstag bargen Rettungskräfte nach 296 Stunden drei Menschen aus eingestürzten Gebäuden in Antakya, darunter ein 12-jähriges Kind, das nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu jedoch nach seiner Rettung starb. Die beiden anderen Überlebenden, ein Ehepaar, wurden demnach ins Krankenhaus gebracht. Am Sonntagabend sollen die Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet nach Angaben der türkischen Katastrophenbehörde aber „größtenteils abgeschlossen“ sein.
Am Freitagabend war nach Angaben von Gesundheitsminister Fahrettin Koca ein Mann nach 278 Stunden in der Provinz Hatay lebend aus den Trümmern geborgen worden. Am Donnerstagabend und Freitagmorgen waren Koca zufolge drei weitere Menschen im Zentrum von Antakya gerettet worden: ein 14 Jahre alter Junge und zwei Männer im Alter von 33 und 26 Jahren.
Ghanaische Fußballer Atsu tot geborgen
Unter den vielen Menschen, die in der Stadt Antakya am Samstag tot geborgen wurden, ist der frühere ghanaische Fußballnationalspieler Christian Atsu. Atsus Manager bestätigte am Samstag den Tod des Sportlers in den Trümmern eines Hochhauses, das erst 2013 nach dem Erlass strengerer Bauvorschriften errichtet worden war. Der für das Hochhaus zuständige Bauunternehmer war vier Tage nach dem Beben am Flughafen in Istanbul festgenommen worden, als er versucht hatte, nach Montenegro zu fliehen.
Erdoğans fahrlässige Bau-Politik
Während die Chance auf ein Überleben in den Trümmern bei nächtlichen Temperaturen von bis zu minus 15 Grad im bergigen Teil des Katastrophengebiets weiter sinkt, erinnerten Internetnutzer in der Türkei mit Dutzenden alten Tweets und Videos an Erdoğan frühere fahrlässige Politik beim Häuserbau. In einem Videoclip von 2018 gratuliert Erdoğan Beamten zur Einführung eines Amnestiegesetzes, das sechs Millionen Gebäude mit nachweislichen Sicherheitslücken für bewohnbar erklärt.
In einem tausendfach geteilten Tweet von 2013 hatte der heutige Staatspräsident mitgeteilt: „Gebäude töten Menschen, nicht Erdbeben. Wir müssen lernen, mit Erdbeben zu leben (…) und entsprechende Maßnahmen treffen.“ Laut Experten kann die Nichtbeachtung von Baustandards die extrem hohe Opferzahl in der Erdbebenregion erklären. In der Türkei alleine stieg die Zahl der Opfer am Samstag nach offiziellen Angaben auf über 40.000.
Olaf Scholz dankbar für Solidarität
In Deutschland zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz unterdessen „sehr, sehr dankbar“ für die Solidarität, Spenden und private Hilfsinitiativen der Bürger und wünschte den Hilfsorganisationen vor Ort Kraft für ihre „lebenswichtige Arbeit“. Noch am Tag des Bebens seien Rettungstrupps und medizinische Teams aus Deutschland in die Erdbebenregion gereist und hätten Heizgeräte, Generatoren und Medikamente geliefert. „Wir können die Katastrophe nicht ungeschehen machen“, sagte Scholz am Samstag in seinem wöchentlichen Internetformat. „Aber wir können helfen in der Not. Und Deutschland hilft.“
Am Donnerstag hatte die UNO für die Erdbebenopfer in der Türkei zu internationaler Hilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar (rund 936 Millionen Euro) aufgerufen. Damit könne für 5,2 Millionen Menschen drei Monate lang humanitäre Hilfe geleistet werden, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres.
Zahl der Toten steigt auf über 46.000
Nach dem schweren Erdbeben am frühen Morgen des 6. Februar waren in der Türkei nach offiziellen Angaben mindestens 84.000 Gebäude eingestürzt oder schwer beschädigt und über 40.000 Menschen gestorben. Auf syrischer Seite der Grenze ist das gesamte Ausmaß der Zerstörung nicht klar. Allerdings wurden bislang 5.900 tote Menschen in Zusammenhang mit den verheerenden Beben gezählt worden. Insgesamt sind damit in beiden Ländern mehr als 46.000 Menschen ums Leben gekommen.
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