berliner szenen: Guten Morgen, Frau Tempur
Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Ich komme aus dem Nachtdienst, der Frühdienst ist krank, und der Oberarzt muss die Morgenvisite alleine machen. Er schluckt, als ich ihm die Liste mit den Namen überreiche und fragt mich, ob ich nicht noch bleiben kann.
„Das ist illegal“, sage ich. „Ich verrate es niemandem.“ „Das ist ein Witz, oder?“
„Bitte, bitte, bitte“, sagt er. Kennen Sie das, wenn Sie Ihre Zustimmung bereits während des Nickens bereuen?
Es scheint, als hätte der Oberarzt im Laufe der Zeit vergessen, womit seine Angestellten den Tag verbringen, denn nach jedem Zimmer fragt er entsetzt: „Noch eins? Das ist ja vollkommen absurd, was ich da jetzt alles organisieren muss.“ Ich nicke zustimmend.
Kopfschüttelnd tritt er ans nächste Bett. Er wirkt müde. Fast so, als hätte nicht ich die letzte Nacht gearbeitet, sondern er. Immer wieder fallen ihm die Augen zu, und ich sehe, dass er sich am Bettende festhält, dort wo der Name der Patientin, auf ein kleines Schild gedruckt, um die Stange gewickelt ist. Praktisch für die Identifikation, und wenn dann noch die richtige Person drin liegt, kann eigentlich gar nichts schiefgehen. Möchte man meinen. Gerade hat der Oberarzt wieder fast sein Gleichgewicht verloren – was hat er nur am Wochenende gemacht?
Ich räuspere mich. Ertappt öffnet er die Augen und setzt ein verbindliches Lächeln auf: „Frau Tempur“, sagt er, während er auf das Schildchen am Bettende schielt. „Ich bin der Oberarzt. Ich kümmere mich um alles.“ „Äh, Chef“, sage ich und zupfe an dem Zettel. „Das ist Frau Müller. Tempur heißt die Matratze.“
Nicht mal rot wird er, aber die Patientin hat ohnehin nicht zugehört. Was der Oberarzt wohl am Wochenende gemacht hat? Eva Mirasol
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