piwik no script img

Schelmische Freudedes Dauerspringers

Simon Ammann fliegt und fliegt und fliegt. Auch mit nun 41 Jahren freutsich der kleine Schweizer wie ein Novize über Adrenalinschübe am Bakken

Aus Planica Lars Becker

Wenn Simon Ammann nach seinen Flügen bei dieser WM in Planica gelandet ist, beginnt erst die eigentliche Arbeit. Fast alle Konkurrenten wollen mit der Skisprunglegende unten im Auslauf fachsimpeln. Fans möchten unbedingt ein Selfie mit dem Schweizer. Und dann warten da noch die Fernsehstationen aus der ganzen Welt, bei denen Ammann ein begehrter Gesprächspartner ist.

Natürlich hängt das damit zusammen, dass der 41-Jährige mit Abstand der älteste Flieger im Feld ist. Aber es gibt auch niemanden sonst, der mit so viel Liebe über den Flugsport erzählen kann – auch wenn der viermalige Olympiasieger wie bei seinem 28. Platz im WM-Einzelspringen von der Normalschanze oder Platz sieben mit dem Schweizer Mixed-Team längst nicht mehr um die Medaillen mitspringt. „Ich habe die Drehung in der Luft endlich richtig hinbekommen, und dann ist das Adrenalin in meinen Körper geschossen“, fabuliert er mit strahlenden Augen. Und als Ammann gefragt wird, ob Skispringen ein Jungbrunnen für ihn sei, antwortet er: „Es scheint fast so.“

Es sind inzwischen seine zwölften Weltmeisterschaften. Als Ammann 1997 in Oberstdorf seine Weltcup-Premiere feierte, war der deutsche Mixed-Weltmeister Andreas Wellinger gerade zwei Jahre alt. Es folgte eine einzigartige Karriere, die Ammann zum Weltstar machte. 2002 wurde der Mann mit der Brille in Salt Lake City Doppel-Olympiasieger und bekam den Titel „Harry Potter der Lüfte“ wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit zum Magier verpasst. Er schaffte es danach sogar in die legendäre Late-Night-Show von David Lettermann.

2007 wurde der nur 1,73 Meter große Fieger im japanischen Sapporo Weltmeister, ehe dem Tüftler 2010 der ganz große Coup glückte. Er überraschte die Konkurrenz mit einem gekrümmten Bindungsstab, der mit der dadurch möglichen aerodynamischeren Flugposition die Flieger-Welt revolutionierte. Die Olympia-Goldmedaillen Nummer 3 und 4, der WM-Titel im Skifliegen in Planica und der Gesamtweltcup-Sieg waren der verdiente Lohn. Danach ging es langsam abwärts. Nach enttäuschenden Leistungen bei Olympia 2014 in Sotschi verkündete Ammann, dass das „zu 99 Prozent meine letzten Winterspiele waren.“

Vier Jahre später war er im südkoreanischen Pyeongchang trotz eines zwischenzeitlichen schweren Sturzes bei der Vierschanzentournee (2015) immer noch dabei und versprach seiner Ehefrau Yana, dass danach definitiv Schluss sei mit Sport. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2023, und Simon Ammann fliegt immer noch. Ein Ende ist nicht abzusehen, wie er im Exklusivinterview in Planica verraten hat: „Ich werde nie zurücktreten. Nur, wenn mein Körper das sagt. Ich habe vor der WM eine lange Pause gemacht. Und das hat mir offenbar gut getan.“

„Ich werde nie zurücktreten. Nur, wenn mein Körper das sagt“

Simon Ammann, der ewige Flieger

Tatsächlich war Ammann für ein paar Monate komplett aus der Skisprungszene verschwunden. Er half beim Hausbau für seine Familie mit, zu der auch die drei kleinen Kinder Théodore, Charlotte und Aaron gehören. Außerdem konzentrierte sich der intelligente Athlet auf sein Betriebswirtschaftsstudium, für das noch im Januar schwierige Prüfungen anstanden. Richtig ins Training einsteigen konnte er erst danach. Und es wurde ihm wieder einmal bewusst, „welch schelmische Freude ich am Skispringen habe.“ Der „Ammann-Bonus“ brachte ihn ohne erreichte Qualifikationsnorm zur WM, wo er sich in der internen Ausscheidung locker gegen die jüngere Konkurrenz durchsetzte.

Auch im WM-Wettbewerb von der Großschanze am Freitag will Ammann dabei sein. Der Bakken liegt ihm. Und was kommt danach? Beruflich stehen ihm alle Wege offen: Er hat eine Privatpilotenlizenz, ist gemeinsam mit Martin Schmitt Inhaber der Sportmarketing-Agentur ASP Sports und wird wohl bald seinen BWL-Abschluss in der Tasche haben. Aber dann gibt es ja auch die schönen Erinnerungen an die Schanzen im italienischen Predazzo, wo 2026 die Skisprung-Wettbewerbe der Olympischen Winterspiele von Mailand und Cortina über die Bühne gehen werden. Dort schaffte Ammann erstmals in seiner Karriere zwei Podestplätze binnen 24 Stunden. Das war übrigens 2001, also vor über zwei Jahrzehnten. Als manche seiner Konkurrenten bei dieser WM von Planica noch nicht geboren waren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen