BETTINA GAUS MACHT : Risse im Vorhang
Merkel hat alles im Griff, verbreiten ihre Flüsterer. Blöd nur, dass einige in der Union nicht mehr flüstern wollen
Er wolle nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, hat Horst Seehofer nach dem CDU-Debakel in Nordrhein-Westfalen gesagt. Und dann? Die Tagesordnung: Bauernopfer, Theaterdonner, Vorhang. Wie immer. – Zunächst.
Ein Wahlverlierer wurde geschasst, und damit wurde wieder einmal gezeigt, dass sich Angela Merkel um den Unterschied zwischen Parteifunktion und Staatsamt nicht schert. Sie denkt eben, dass den Parteien der Staat gehört. Vor allem ihrer Partei. Da ist es dann egal, dass sie Norbert Röttgen keine Fehler bei der Amtsführung zur Last legt und dass er auch keine silbernen Löffel oder anderer Leute Ideen geklaut hat.
Lustig ist, was jetzt alles gestreut wird. Merkel habe dem gefeuerten Umweltminister die Energiewende nicht mehr zugetraut, und er habe ja auch immer wieder mit dem FDP-Wirtschaftsminister gestritten. Das bedient jenen Teil der Öffentlichkeit, der gerne eine inhaltliche Begründung dafür hören möchte, dass ein 46-jähriger Mann, vorher hochgelobt, plötzlich entbehrlich ist.
Wer darauf verzichten kann, sich aber fragt, ob die Kanzlerin überhaupt Herrin des Verfahrens war, bekommt andere Informationen geliefert. Sie sei wütend auf Norbert Röttgen gewesen, weil dieser in letzter Minute versucht habe, sie für seine absehbare Niederlage in Mithaftung zu nehmen. Deshalb habe der bayerische Ministerpräsident nur das ausgedrückt, was auch sie denke. Dessen geharnischte Kritik vor laufenden Kameras sei – gewissermaßen – mit ihr abgesprochen gewesen.
Sicher doch. Angesichts des bekannt innigen Verhältnisses zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer ist das anzunehmen. Oder? Die Einflüsterer müssen ihr Publikum für wirklich leichtgläubig halten. Aber das ist ja nichts Neues.
Nichts von dem, was seit der Landtagswahl geschehen ist, ist neu. Angela Merkel, die zweifellos tatsächlich wütend war, hoffte dennoch zunächst, der Sturm werde vorüberziehen. Sie mag keine offenen Konflikte und keine dramatischen Gesten.
Dann aber forderte Seehofer sie heraus, der sich mit guten Gründen vor der nächsten Landtagswahl in Bayern fürchtet, und es war für sie das kleinere Übel, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Aufmarsch der Spindoktoren, die den Eindruck zu erwecken suchen, die Kanzlerin habe im Hintergrund die Fäden gezogen. Alles wie gehabt.
Fast. Wenn nicht Horst Seehofer vor einigen Tagen dem ZDF erlaubt hätte, eine offenherzige Plauderei zu senden, die sich nach Ende eines aufgezeichneten offiziellen Interviews mit Moderator Claus Kleber entsponnen hatte. Inhaltlich war das gar nicht besonders spektakulär. Formal schon.
Der bayerische Ministerpräsident hat vermutlich mehr von sich und – parteiübergreifend – seinen Kollegen preisgegeben, als er vorgehabt hatte. Er redete nämlich einfach so wie andere Leute auch. Nicht gestelzt, nicht steril, nicht unverständlich, nicht lauernd, nicht ausweichend. Plötzlich wurde einem bewusst, wie lange es her ist, dass man einen Spitzenpolitiker im Fernsehen so hat reden hören – und wie betrüblich das ist.
Vielleicht muss man gar nicht in Talkshows twittern, um Aufsehen zu erregen und Erfolg zu haben. Vielleicht genügt es, einfach zu sagen, was man denkt. So war Demokratie eigentlich einmal gedacht. In der Union erinnern sich plötzlich einige daran. Seehofer ist nicht mehr allein.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Katharina Behling