: „Aber wir haben keine Zukunft“
Es ist ein schönes Projekt, aber sein Hintergrund ist bitter: Eine alte Zigarrenfabrik in Bremen-Nord wird wieder aufgebaut – mit Ein-Euro-Jobbern. Die sind froh um ihre Arbeit und bang um ihre Zukunft. Die ein-Euro-Jobs sind trotz aller Zweifel ein Renner
bremen taz ■ Die Chinesen sind schuld. „Die Chinesen sind bis obenhin voll“, brüllt der Schrotthändler und schmeißt Metallstangen auf den Kleinlaster. Zahlen statt 120 nur noch 55 Euro für die Tonne Schrottstahl, weil sie wohl erstmal genug haben. Da kommt der Händler nicht mehr von selbst zum Abholen. „Jetzt müssen wir anrufen“, sagt Stefan Lücking, „so erleben wir hier die Auswirkungen der Globalisierung.“ Der Händler winkt, tuckert davon.
40 Container Schrott und Müll haben Leute wie er in den vergangenen Monaten von dem Gelände der Zigarrenfabrik an der Stader Landstraße in Bremen-Burg abgefahren. Das Projekt: die Rettung eines alten Fabrikgebäudes aus dem 19. Jahrhundert. Roter Backstein, hohe Hallen, Fensterbögen, auf dem hölzernen Dachboden noch alte Pressen für die Tabakblätter. Stefan Lücking ist Betriebsleiter für die BRAS, einen Bremer Beschäftigungsträger, der die Fabrik im vergangenen Jahr gekauft hat und nun herrichtet. Und zwar mit Ein-Euro-Jobbern – Langzeitarbeitslosen, die jetzt zu ihrem Arbeitslosengeld II einen Euro pro Stunde hinzuverdienen. In Bremen heißen sie In-Jobber, das steht für Integration, weil im Rahmen dieser Jobs auch Qualifizierung stattfinden soll. Trotz des kleinen Geldes sind die Männer froh über ihre Arbeit. „Das hat mich am meisten überrascht: die hohe Motivation“, sagt Lücking. Er habe Vorbehalte gegen Ein-Euro-Jobs gehabt, habe sich gefragt, „wie gehe ich mit Menschen um, die sich vielleicht gezwungen fühlen, hier zu arbeiten?“ Umsonst: „Es läuft super.“
Die 25 Männer, meist älter als 40, haben in den letzten Monaten den Bau entkernt und vorbereitet. Bis 2007 soll ein Mehrgenerationenhaus entstehen. Gestern war Grundsteinlegung.
Auch das hat mit Globalisierung zu tun: Gäbe es mehr reguläre und keine Ein-Euro-Jobs, gäbe es dieses Projekt wohl nicht. „Jeder normale Unternehmer würde das Haus abreißen“, sagt Lücking. Beispiel: die Dämmung. Die fehlt. Am einfachsten wäre, von außen zu dämmen. Weil die BRAS die schöne Fassade des nicht denkmalgeschützten Gebäudes erhalten will, wird jedoch von innen gedämmt. Das sei teuer, aufwändig, unwirtschaftlich, so Lücking – aber nur so behält das Haus seinen Charme.
Unter den Arbeitern hier sind viele Handwerker, die nun das, wofür sie früher angemessen bezahlt wurden, für sehr wenig Geld tun. „Ich bin zufrieden, dass ich wieder reingekommen bin“, sagt dennoch Torsten Rabbel, 38, Maler und Lackierer, seit einem Jahr arbeitslos. Er habe sich seitdem häufig beworben, „aber der Arbeitsmarkt gibt’s nicht her.“ Für Hermann Bergmann, 51, Elektriker, erst recht nicht: „Ich kriege eh nichts mehr“, sagt er, „für mich zählt hier nur die Kameradschaft.“ Dann, auf Nachfrage: „Das mit dem Geld finde ich nicht so schön.“ Längst nicht alle, aber einige hier scheinen resigniert. „Arbeitslose erarbeiten sich eine Zukunft“, zitiert einer das Motto der BRAS, schweigt, sagt dann: „Aber wir haben keine Zukunft. Es gibt zu wenig Arbeit.“
BRAS-Geschäftsführer Uwe Lange sieht die Lage durchaus ähnlich. Weder gelinge ein Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, noch würden Kosten reduziert. Lange: „Für uns Handelnde gilt: Wir haben keine Antwort auf die Frage, wie Langzeitarbeitslosigkeit gehandhabt werden kann“, sagt er. Seine Antwort im Kleinen: Die Menschen sollen das, was sie tun, wenigstens gerne tun und es sinnvoll finden. „Damit kann ein Stück Persönlichkeitsentwicklung stattfinden.“
Während es von fachlicher Seite an den In-Jobs und ihrer Handhabung einige Kritik gibt (siehe Kasten), sind Arbeitslose offenbar sehr an diesen Jobs interessiert. Die In-Jobs für Unter-25-Jährige sind komplett besetzt, mit Warteliste, die für alle anderen zu 80 Prozent. „Es brummt“, sagt Katja Barloschky, Geschäftsführerin der Bremer Arbeit GmbH (bag), die die In-Job-Angebote auf die Kriterien Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit prüft und freigibt. Zwar können die Menschen unter Androhung von Leistungskürzung zu In-Jobs auch gezwungen werden. Aber das scheint derzeit nicht nötig.
Auszuschließen, dass In-Jobs reguläre Jobs ersetzten, sei „eine Gratwanderung“, so Barloschky. Bisher gibt es für die Handwerkskammer keinen Grund zur Beschwerde. Doch Barloschky sagt auch: „Es geht darum, einen Teil des Kuchens für Langzeitarbeitslose zu beanspruchen.“ Siehe Zigarrenfabrik: Neben den Injobber-Handwerkern sind auch externe Betriebe an dem Projekt beteiligt – was sie den Injobbern verdanken: ohne deren billige Arbeit wäre der Wiederaufbau nicht möglich. Susanne Gieffers