berliner szenen
: Das erste Date in den 60ern

Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Freitagabend. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Mein erster Patient hat eine klare Aufnahmeindikation, will aber unter keinen Umständen bleiben.

„Das wäre dann eine Entlassung gegen meinen ärztlichen Rat“, sage ich. „Wie lange sind Sie überhaupt schon Ärztin?“, fragt er. „Lange genug, um das Formular zu finden, das Sie mir unterschreiben müssen, wenn Sie jetzt gegen­ meinen ärztlichen Rat gehen.“

Er lacht. „Eins zu null für Sie. Ich verspreche, ich gehe morgen gleich zum Hausarzt.“ „Morgen ist Samstag.“ „Meine Frau ist Internistin.“ „Was machen Sie dann hier?“ „Wir trennen Berufliches und Privates.“ „Na dann viel Glück für morgen.“

Ich reiche ihm zum Abschied die Hand – fast. Es ist interessant, wie erst niemand gedacht hätte, dass das deutsche Händeschütteln jemals verschwinden könnte, und wie dann niemand gedacht hätte, dass es jemals wiederkommen würde, aber selbst ich, die ich froh war über die nicht nur wegen Corona infektiologisch sinnvolle körperliche Distanz, falle bisweilen in alte Muster zurück. Statt meiner Hand reiche ich ihm nun souverän die Entlassungspapiere und ein Privatrezept.

„Sie haben aber dünne Ärmchen“, sagt er. Ein erneuter Blick auf das Geburtsdatum verrät mir, dass er 77 Jahre alt ist. 1945 geboren, das erste Date in den 60ern. Da war das wahrscheinlich ein super Kompliment. Dünne Ärmchen, so wie Twiggy, das schlaksige Model aus London.

„Danke“, sage ich. „Dafür haben Sie recht dicke Beine.“ „Danke“, sagt er. „Ist alles Wasser, kommt vom Herzen. Aber meiner Frau gefällt’s.“ „Beruflich oder privat?“

„Ich mag Ihren Humor“, sagt er. „Ich komme jetzt immer zu Ihnen.“ Und ehe ich mich versehe, hat er mir die Hand geschüttelt.

Eva Mirasol