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Gefrorenes Bewegtbild

Der polnische Filmemacher Jerzy Skolimowski, der zuletzt das Leben eines Esels in Bilder setzte, ist auch ein Maler. In Berlin wird er jetzt gleich zwei Mal ausgestellt

Film noir auf Leinwand? Foto: Jerzy Skolimowski

Von Jenni Zylka

Am Anfang des künstlerischen Prozesses stehen Film­re­gis­seu­r:in­nen wie Ma­le­r:in­nen vor dem gleichen Problem: Eine weiße Leinwand ist leer. Und muss gefüllt werden.

Der 84-jährige Filmemacher Jerzy Skolimowski studierte in den 60er Jahren Regie an der renommierten Filmschule von Łódź. Dort freundete er sich mit Roman Polanski an, traf Andrzej ­Wajda, und entwickelte seine persönliche, bittersüße, polnische Version der Nouvelle Vague – in von Jazz unterlegten, schwarz-weißen, luftigen Szenen voller zweifelnder Jugendlicher und pikaresker Träume. In den 60ern verließ Skolimowski das fromme, engstirnige Heimatland für eine Weile, sein 1966 in Belgien entstandener Film „Le Départ“ wurde 1967 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Gerade ist Skolimowskis „EO“ für einen Oscar als „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert – „fremdsprachig“ trifft es recht gut: Es geht um einen Esel; es ist der unergründliche Blick des Tieres, dem das Publikum in diesem anderthalbstündigen, (nur für das Langohr) qualvollen, faszinierenden Trip folgt. Skolimowskis Neuverfilmung eines Robert-Bresson-Werks kippt zuweilen lustvoll ins Abstrakte, auf der Kinoleinwand verwischen Zeit, Raum, Tier und Pflanze. Vielleicht hatte der Esel auch nur ein paar vergorene Äpfel gemampft.

Aber die abstrakte Verbindung zwischen Wesen- und Menschenwelt findet sich auf Skolimowskis Gemälden, die der Künstler ab heute in der Nüüd-Galerie in Mitte und im Polnischen Institut Berlin ausstellt, wieder: Auf 30 meist in Grauschattierungen gehaltenen, bis zu drei Quadratmetern großen Bildern, die ersten stammen aus den 90er Jahren. Eines der prägnantesten ist das – nach Aussage des Kurators Marcin Fedisz – Lieblingsbild des Regisseurs und Malers Julian Schnabel. Es zeigt einen Baum aus schwarzen Farbklecksen, dessen eleganter Stamm sich im Vordergrund über einen mit Schnee bedeckten Berg reckt – die Assoziation „Fuji“ drängt sich wegen der zarten, an japanische Tuschemalerei erinnernden Astspritzer auf.

Ein handfesteres, ebenso riesiges, in Grautönen gehaltenes Bild heißt tatsächlich „Fuji“ – dort wirken Berg und ein tiefhängender Mond expressionistischer, weniger fernöstlich, stattdessen könnten sie ein gemaltes Hintergrundbild aus George Méliès’ „Die Reise zum Mond“ aus dem Jahr 1902 zitieren, einem der ersten Filme der Geschichte.

Immer wieder erahnt man so in Skolimowskis Werken Hinweise zum Bewegtbild, „auf Leinwand gefrorener Film“ nennt Kurator Fedisz dieses Phänomen im Katalogvorwort. Eine Reihe kleinformatiger, mit einem Lineal gefertigter Malereien ähneln nächtlichen Stadtkulissen, bei denen sich moderne Hochhäuser im schwarzen Wasser spiegeln wie in einem Film-noir-Vorspann – die Gleichzeitigkeit von Abstraktion und Konkretisierung bestimmt die Spannung.

Skolimowski male nur, wenn er nicht inszeniere, erzählt der Kurator, und er tue dies vor allem, um nach dem kollektiven, künstlerischen Gemeinschaftsprojekt mal wieder absolute kreative und persönliche Freiheit zu genießen.

Egozentrisch wirken die Bilder dennoch nicht. Stattdessen lassen sie – ebenso wie seine Arbeit für die Kino­leinwand– viel Raum für Interpretationen: Ein 1996 auf Holz entstandenes Ölbild zeigt schwarze, organische Formen auf Rot, über ein weiteres, rot-schwarzes Sprenkelbild könnte man beim Rohrschachtest „Vögelchen frisst Salamander“ explizieren. Aber vielleicht ist auch etwas anderes gemeint.

Wie bei anderen malenden (oder fotografierenden) Regisseuren – Schnabel, David Lynch, Herbert Achternbusch, Anton Cobijn – lässt sich Skolimowskis bildende Kunst kaum unabhängig von seinen Filmen betrachten. Und das ist völlig in Ordnung. Es sind eben doch nur verschiedene Methoden, um das Gleiche auszudrücken.

Paintings, 16. bis 25. 2. 2023, Nüüd.Berlin Gallery und Polnisches Institut Berlin

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