: Wieder wird es klassisch
Im Vorspiel mag man sich an die Zeit erinnern, als der Pop und Rock gerade am Ende ihrer Flegeljahre standen, also Ende der Sechziger, als sich plötzlich gestandene Hardrockbands Symphonieorchester mieteten, um den walk on the classical side zu proben, und Gassenhauer des Klassikrepertoires in Rockversionen in die Hitparaden geschubst wurden. Eine seltsame Gemengelage aus Größenwahn über die erreichten, kaum mehr bestreitbaren Erfolge, aus frühen und nicht vergessenen Klavierstunden und einem Minderwertigkeitskomplex, weil auch Popmusiker der Meinung waren, dass doch eigentlich die Klassik das Maß der musikalischen Dinge im christlichen Abendland sei.
Die Klassik hat die Umarmungen überlebt. Irgendwann hat sich sogar der Rock wieder von seinen Anstrengungen erholt, selbst wenn das bis weit in die Siebziger dauerte, bis Punk den Drang zur Prätention einfach von den Bühnen watschte.
Aber damit ist es vorbei. Heute wird nicht mehr gewatscht, weil längst alle Barrikaden beiseite geräumt sind und der zuletzt verstärkt bemerkbare Drang der Clubmusik hin zum Klassischen sowieso vor allem einer Pragmatik verpflichtet ist. Prall gefüllte Archive locken mit der allgemeinen Verfügbarkeit, und man muss ja nicht mal wirklich bezahlen für die Freuden des Eklektizismus. Alles ganz mühelos. Letztlich ist auch der von Me Raabenstein zusammengestellte Sampler „XVI Reflections on Classical Music“ – gerade erschienene Speerspitze der aktuellen Tanzboden-Klassik-Annäherungen – so eine Sofamusik zum Zurücklehnen. Viel freundliche Verträumtheit gibt es zu hören und Klavierklimperndes. Ätherisches. Treibsandiges. Hingewehtes. Kaffeehausmusik in der Chill-out-Zone. Unter anderem von Hauschka, von Alva Noto mit Ryuichi Sakamoto, und der Schnipsel von Philip Glass mit seiner wirklich niemanden herausfordernden Minimalmusic passt da gut mit rein.
Der Sampler ist übrigens empfohlene Hörhilfe vom Club Contemporary Classical Festival, das etwas umständlich im Untertitel sein Anliegen mit „Festival der von Club-Kultur beeinflussten zeitgenössischen klassischen Musik“ (www.c3festival.de) erklärt. Da gibt es mit Brandt Brauer Frick an Echtinstrumenten handgeschabte Tanzbodenmusik zu hören oder piepsend blubbernde Dreiklangvariationen über Kraftwerk und Steve Reich mit Powerplant. Auch die Techno-Größe Jeff Mills schaut vorbei, im Berghain natürlich, wo das Festival zum auratischen Update nächste Woche vom Dienstag bis Donnerstag stattfindet.
Alles geht aufeinander zu. Wenigstens die Klassik aber wird auch die neuen Umarmungen wieder überleben. THOMAS MAUCH