„Respekt schafft Frieden“

Der Muslim Radji Saïbou über das friedliche Zusammenleben von Christentum, Islam und Voodoo in Benin

Interview Katrin Gänsler

taz: Herr Saïbou, Benin wird als Wiege des Voodoo bezeichnet. Wie anerkannt ist die alte Religion heute?

Radji Saïbou: Voodoo hat mit dem 10. Januar sogar einen eigenen arbeitsfreien Feiertag. Damit gibt es eine Gleichstellung: Christen haben das Weihnachtsfest als Feiertag und die Muslime das islamische Opferfest, das wir Tabaski nennen. Voodoo wird in Benin also ebenso gefeiert wie die anderen Religionen auch.

Wie funktioniert das Zusammenleben zwischen An­hän­ge­r*in­nen verschiedener Religionen im Alltag?

Im Vergleich zu anderen Ländern hat Benin eine Besonderheit: Mit Voodoo gibt es eine indigene Religion, die aktiv praktiziert wird. Deshalb gibt es in Dörfern Kirchen, Moscheen und Voodootempel. In Städten wie Porto Novo stehen sie sogar häufig nebeneinander.

Das heißt, man toleriert sich gegenseitig.

Unsere Organisation Religion für den ­Frieden betont stets: Wir sprechen nicht von ­Toleranz, weil das herabsetzend ist. Ich kann jemanden tolerieren, weil er stärker ist als ich, oder mir etwas zu essen gibt. Uns ist der ­gegenseitige Respekt wichtig. Nur so lässt sich ein friedliches Zusammenleben schaffen.

Wie zeigt sich der gegenseitige Respekt im täglichen Leben?

In Porto Novo hat ein alter Mann gelebt, ein Muslim, der Zimmer in seinem Haus vermietet hat. Seine Mieter haben Voodoo praktiziert. Während des Fastenmonats Ramadan haben dessen Kinder mittags vor den Augen der Muslime gegessen und getrunken. Das ist die Zeit, in der alle hungrig und durstig sind, Muslime aber noch bis zum Sonnen­untergang auf das Essen warten müssen. Die Eltern der Kinder haben dafür gesorgt, dass sie künftig im Zimmer essen, um niemanden zu provozieren. Das ist gegenseitiger Respekt.

Offiziell bekennen sich in Benin noch knapp 12 Prozent der 13 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen zu Voodoo. Gerade von Chris­t*in­nen hört man, dass sie weiterhin beide Religionen leben.

Ja, das machen viele. Die indigenen Religionen spielen in afrikanischen Haushalten eine große Rolle. Ich kenne einen katholischen Priester. Als er ein Kind war, spielte sein Großvater bei Voodoozeremonien die Trommel. Er ging dann auf eine katholische Schule und wurde Priester. Trotzdem beschäftigt er sich mit Voodoo, weil er mehr darüber erfahren will und er es für sein geistiges Wohlbefinden macht.

Foto: Katrin Gänsler

Radji Saïbou setzt sich als Muslim in Porto Novo, der zweitgrößten Stadt des Benins, für den interreligiösen Dialog ein und ist General­sekretär der Organisation „Religion für den Frieden“.

Wie ist das bei Muslim*innen?

Ich praktiziere Voodoo nicht, befrage aber das Fa-Orakel, ebenfalls für mein geistiges Wohlbefinden. Kenntnisse über die indigene Religion helfen stets, die eigene Religion besser zu verstehen.

In Benin ist Voodoo allerdings nicht nur Religion, sondern auch Tradition.

Das stimmt. Es ist auch ein Wertesystem, das auch anderswo Bedeutung hat. Menschen in Brasilien und Haiti kennen und nutzen unsere afrikanischen Traditionen. Uns, die wir zur Schule gegangen sind, hat man aber immer gesagt: Das taugt nichts und wir brauchen es nicht. Das müssen wir ändern und die positiven Aspekte unserer Tradition heute wieder nutzen. Und die sind viel bedeutender als die negativen.