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Derzeit kein Weltkulturerbe

Am Bauhaus orientiert baute der Architekt Otto Haesler in Celle sozialbewusst und modern. Sein Bauerbe wird mal saniert, mal abgerissen. Der Forderung der Celler Otto-Haesler-Initiative nach einer Bewerbung als Weltkulturerbe erteilt die Stadt eine Absage

Wiederhergestellt: die originale intensive Primärfarbigkeit von Otto Haeslers Siedlung „Italienischer Garten“ Foto: Celle Tourismus

Von Bettina Maria Brosowsky

Dass der Denkmalschutz einer Immobilie kaum Schutz bietet, wird täglich vor Augen geführt. In Hamburg fielen 2019 die vier Hochhäuser des City-Hofs, ein städtebaulich markantes Beispiel moderater Nachkriegsmoderne, der Abrissbirne zum Opfer. In Wilhelmshaven hatte es bereits 2014 das wilhelminische Industriedenkmal der Südzentrale getroffen. Stets konnten die Eigentümer mit der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit des weiteren Erhalts argumentieren, selbst wenn Initia­tiven und Fachleute vor Ort, flankiert von Presse und interessierter Öffentlichkeit, das Gegenteil nachzuweisen in der Lage waren.

Im Frühjahr 2021 ereilte fast unbemerkt ein weiteres Baudenkmal dieses Schicksal: In Celle verschwand die Wachswarenfabrik Schmidt, Standort Speicherstraße 25 auf der Allerinsel. Architekt dieses 1924 fertiggestellten Gebäudes war Otto Haesler (1880–1962), ein entschiedener Vertreter der Moderne in der Zwischenkriegszeit. Gerne wird seine geistige Nähe zum Bauhaus betont – und selbstredend schmückte sich die Stadt Celle während des Bauhausjubiläumsjahres 2019 mit Haeslers reichem architektonischem Nachlass vor Ort.

Otto Haesler, in bescheidene Verhältnisse in München geboren, kam 1906, nach Baugewerkschule, Maurerlehre und Tätigkeit in Frankfurt, durch einen gewonnenen Wettbewerb ins vormalige Residenzstädtchen Celle. Schnell erhielt er weitere Aufträge und blieb, anders als beabsichtigt, für fast 28 Jahre – bis 1934, dem politisch bedingten Ende seiner Tätigkeit und der inneren Emigration in Schleswig-Holstein.

Vom Fachwerk zum Neuen Bauen

Wie in einem Lehrbuch lässt sich in Celle anhand seiner Bauten die Entfaltung einer individuellen Position in der architektonischen Moderne nachvollziehen. Anfänglich schöpfte Haesler noch aus Erneuerungsbewegungen der Jahrhundertwende – Jugendstil, Landhausbewegung, moderate Reformarchitektur –, so bei seinem eigenen Wohnhaus von 1909 oder einer kleinen Kolonie aus Ein- und Zweifamilienhäusern, die er ab 1911 als Architekt und Investor realisierte: typisierte Struktur, aber malerisch individualisierte Baukörper aus Sichtmauerwerk und ortsüblichem Fachwerk.

Nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen sozialen, ökonomischen und geistigen Verwüstungen wurde der mittlerweile 40-jährige Haesler dann zu einem auch international beachteten Protagonisten der Moderne: systematisch in der Problemanalyse, sozialbewusst, unter Einsatz industrialisierter Bautechnik.

Ein wichtiger Schritt war die Wachswarenfabrik Schmidt, die funktionale Fügung aus verschieden großen Baukörperquadern. Dieses Prinzip setzte Haesler nur wenig später in der genossenschaftlichen Siedlung „Italienischer Garten“ in Szene. Ihre kubisch gestaffelten Architekturen prägt seit einer Sanierung, wenngleich mit dem unvermeidlichen Wärmedämmverbundsystem, wieder ihre fotogene intensive Primärfarbigkeit.

Von solch einem Pflegezustand war das Fabrikgebäude weit entfernt, über eine Farbfassung ließe sich wohl nur noch spekulieren. Aber man wägte sie als Teil der „Fortschreibung Rahmenplanung Allerinsel 2018“, ein durch das Förderprogramm „Stadtumbau West“ mit Bundesmitteln bedachtes Sanierungsvorhaben, eigentlich doppelt geschützt: die Integration von drei Bestandsbauten, darunter die Fabrik, galt als Planungsverpflichtung.

Dieser achtlose, vertragsverletzende Akt lässt nun die Otto Haesler-Initiative in Celle, deren rund 50 Mitglieder seit langen Jahren unermüdlich für das Bauerbe werben, mit nicht unbegründeter Besorgnis auch auf manch anderen Bau ihres Schützlings blicken. Da wären ja etwa, allesamt Inkunabeln des „Neuen Bauens“, die Wohnsiedlung Georgsgarten, die Kleinstwohnanlage Blumlägerfeld, die Altstädter Schule mit Rektorenwohnhaus von 1926 oder auch der großzügige Wohnsitz eines Gymnasialdirektors aus dem Jahr 1931. Dieser Bau stand 1984 kurz vor dem Abriss – für ein Parkhaus! –, wurde anschließend vorbildlich saniert und als Galerie öffentlich zugänglich. Zum Jahreswechsel allerdings muss der augenblickliche Mieter das Haus verlassen, weiteres: ungewiss.

Nach dem Italienischen Garten errichtete dieselbe Genossenschaft ab 1925 die wesentlich umfangreichere Siedlung Georgsgarten: 168 Wohnungen in sechs parallelen Zeilen, Gemeinschafts- und Gewerberäume in einem Riegel zur Straße. Hier läuft in naher Zukunft die Erbpacht der Grundstücke aus. Immerhin: Die Altstädter Schule, in ihrem Herzstück, der zentralen Aula mit kombinierter Turnhallenfunktion, seit langem durch Holzeinbauten verschandelt, blickt einer denkmalgerechten Sanierung entgegen.

Die im letzten Jahr beauftragten Architekten Spital-Frenking und Schwarz aus Dortmund wollen sich dem ursprünglichen Raumeindruck annähern und herausarbeiten, „was von Haeslers noch da ist“. Dazu gehören auch die Lichtöffnungen der Decke aus bauzeitlichen, massiven Glasbausteinen, sowie die mittige Erschließung und Raumabfolge. Asbestbelastung – aus Instandhaltungen vergangener Jahrzehnte – und Baukostensteigerungen verzögern derzeit die Arbeit, vor Anfang 2025 rechnet niemand mit dem Abschluss der eigentlichen Sanierung.

Kleinstwohnungen gegen die Wohnungsnot

Soll sich wieder dem ursprünglichen Raumeindruck annähern: die Aula der Altstädter Schule mit Turnhallenfunktion, um 1929 Foto: Stadt­archiv Celle

Leise Hoffnung schöpft die Celler Initiative auch für ihr Sorgenkind, die Siedlung Blumlägerfeld. ­Haesler formulierte hier 1930 seine radikalste Lösung der Wohnungsnot: Kleinstwohnungen für das Existenzminimum, ein 6-Personen-Typ etwa organisierte sich auf nicht einmal 50 Quadratmetern Wohnfläche. Aber die im bauzeitlichen Luftbild so emble­matisch erscheinende Anlage mit zwei, jeweils gut 220 Meter langen, rigiden Zeilen ist längst nur noch ein Torso: Die westliche Zeile wurde durch Kettenhäuser im Bauhauslook ersetzt, die östliche durch Erweiterungen und Aufstockungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Ur-Segment je Ende blieb erhalten, die kommunale Otto Haesler-Stiftung betreibt hier ein Museum, so mit originaler Wohnausstattung.

Die letzten 52 Wohnungen weitgehenden Urzustands wurden 2018 entmietet: Standsicherheitsprobleme, hieß es. Denn längst war das Wissen um ihre experimentelle Stahlkonstruktion verloren, sie durch unsachgemäßen Bauunterhalt korrodiert. Nach langer Untätigkeit will eine kommunale Wohnbaugesellschaft nun diesen Besitz an vier private Investoren aus Hannover veräußern. Dort zeigt man sich begeistert von der Akquise und Haeslers Wohnkonzept, das perfekt für aktuelle Zwei-Personen-Haushalte erscheint. Vorrangig aber müssen zugesagte Fördermittel übertragen werden, ohne die das Vorhaben illusorisch bleibt.

Eine deutliche Abfuhr erhielt hingegen der Vorstoß eines Mitgliedes der Initiative, das Bauerbe Otto Haeslers als Weltkulturerbe eingetragen zu wissen. Auf ein Anfang Dezember, gemeinsam mit weiteren Unterzeichnern, an Niedersachsens Ministerpräsidenten, Celles Oberbürgermeister und den Landrat gesandtes Schreiben entgegnete die Stadt, dass die Idee nicht neu sei und bereits mehrfach diskutiert wurde. Allerdings sind die Chancen, anerkannt zu werden, „derzeit nicht gegeben“.

Infos zu Otto Haesler in Celle: www.otto-haesler-initiative.de

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