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Archiv-Artikel

Nach dem Spektakel

LEBENSKUNST Das vierte Live Art Festival will in Hamburg mit Tanz-, Performance- und Aktionskunst-Produktionen rund um das Thema „Postspectaclism“ das Format „Festival“ als Spektakel zur Disposition stellen

Das Live Art Festival will nicht nur ein Raum der Repräsentation und des „Abspielens“ von Kulturprodukten sein

VON ROBERT MATTHIES

Schwer bewaffnet mit aufblasbaren Baseballschlägern, Bällen und Schwimmtieren haben Alexander Nikolic und seine Truppe 2007 das Hamburger Nobelhotel Atlantic gestürmt: „Baden im Atlantic“ hieß die interventionistische Performance im Rahmen seiner Projektreihe „Meet the Rich“, mit der der Wiener Künstler beim Off-Kunstfestival „wir sind woanders“ zu Gast war: im Schwimmbecken der „Energie Clinic“, des Wellness-Bereichs des Grand Hotels, hat die Gruppe mit den Gummiwaffen Seeschlachten nachgestellt. Aktuelle gesellschaftliche Schieflagen soll die Performance-Serie sezieren. Und so hatte auch der zweite theatrale Ausflug in den öffentlichen Raum eine ungewöhnliche Begegnung zum Inhalt: Das „Hanseviertel-typische“ Yuppie-Ritual des Austern- und Schampus-Schlürfens unter freiem Himmel hat Nikolic dahin verlegt, wo es auch für den gröbsten Blick als Zuspitzung einer sozialen Schieflage zu erkennen war: auf den Marktplatz im jahrzehntelang konsequent abgewerteten Stadtteil Rothenburgsort.

In zwei Wochen setzt Nikolic sein Projekt nun in Hamburg fort, im Rahmen des Live Art Festivals auf Kampnagel, das am Mittwoch beginnt und in der Kulturfabrik für anderthalb Wochen eine Vielfalt künstlerischer Positionen rund um das Thema „Postspectaclism“ präsentiert. Zu sehen sind dabei sechzehn aktuelle internationale Produktionen: Tanzstücke, Lectures, Theater, Performances, ein Konzert und eine Reihe interventionistischer Praktiken. Denn mit der vierten Ausgabe des Festivals wollen dessen Künstlerische Leiterinnen Nadine Jessen und Melanie Zimmermann ausdrücklich das Format „Festival“ – als sozialer Ausnahmezustand, Abbild gesellschaftlicher Produktionszwänge, kulturindustrieller Spielball und Gegenstand „unseliger Kulturinfarktdebatten“ – selbst infrage und zur Disposition stellen. Statt nur ein Raum der Repräsentation und des „Abspielens“ von Kulturprodukten zu sein, soll sich in der ehemaligen Maschinenfabrik eine soziale Praxis entwickeln, sollen Produzenten und Konsumenten eine gemeinschaftliche Aktivität entwickeln.

Die kann dabei schlicht ein gemeinsames Bad im temporären Pool von Djana Covic auf der Piazza sein oder, wie im Fall der Choreografie „Scripted Smalltalk“ der Estin Krõõt Juurak, das Publikum zum Kollaborateur einer Performance machen. Eine Stunde lang lesen hier die Zuschauer selbst verschiedene von Juurak verteilte Skripte – die unter anderem von der Angst handeln, als Zuschauer an Theaterproduktionen beteiligt zu werden.

Ganz ähnlich macht die Performance „Tonight, Lights Out!“ des in Holland lebenden Künstlers David Weber-Krebs die Produktion des Stückes selbst zum Inhalt: Jeder Einzelne bekommt einen Lichtschalter in die Hand, der eine über der Bühne schwebende Glühlampe ein- oder ausschaltet, und wird so zu einem der vielen Dramaturgen des Abends auf der Suche nach dem Mysterium von Zugehörigkeit und Verantwortung. Ganz sicher ein erhellender Moment.

■ Hamburg: Mi, 30. 5. bis Sa, 9. 6., Kampnagel, Jarrestraße 20, www.kampnagel.de