: „Ich glaube nicht an Hexen“
ANTICHRIST Ein Gespräch mit Lars von Trier über leidende Frauen und dumme Männer, Björks Periode, Angstzustände und schamanisches Reisen
■ Der Adlige: geboren 1956 in Kopenhagen. Studium an der dortigen Filmhochschule. Das „von“ in seinem Namen legte er sich nach dem Vorbild Erich von Stroheims und Josef von Sternbergs zu.
■ Der Filmer: Sehr vielseitig. Mit „Dancer in the Dark“ gewann er 2000 die Goldene Palme in Cannes. Vielbeachtet auch sein Dogma-Film „Idioten“ (1998), bizarr die Fernsehserie „Hospital der Geister“ (1994, 1997), düster der Hypnose-Thriller „The Element of Crime“ (1984). Noch nicht abgeschlossen: die bisher in zwei Teilen existierende Amerika-Trilogie („Dogville“, 2003, und „Manderlay“, 2005). Auch als Komödienregisseur bewies sich von Trier („The Boss of It All“, 2006). 1995 stieß von Trier die Dogma-Bewegung mit an, die das dänische Kino ungemein bereicherte.
INTERVIEW CRISTINA NORD
taz: Herr von Trier, Sie haben mit Heidi Laura zusammengearbeitet, einer Misogynie-Beraterin. Was war deren Aufgabe? Lars von Trier: Mir beizubringen, wie ich noch böser zu Frauen sein kann. Nein, nein, ich brauchte einfach einige Zitate und Bilder. Sie unternahm eine Riesenrecherche, aber ich brauchte nur ein paar Sätze für die weibliche Hauptfigur – Sätze wie: „A crying woman is a scheming woman“.
Eine weinende Frau ist eine Frau, die etwas im Schilde führt. Von wem stammt das?
Das habe ich vergessen, aber es kommt irgendwoher. Ich denke mir so etwas nicht aus.
Heidi Laura hat kürzlich geschrieben, die westliche Zivilisation stecke voller Misogynie – von Aristoteles bis Otto Weininger und darüber hinaus. Besonders verbreitet sei die These, Frauen seien stärker mit der Natur verbunden als Männer.
Das ist vermutlich ein weit verbreitetes Missverständnis, dass ein Geschlecht näher an der Natur dran sei als das andere. Trotzdem habe ich auch eine romantische Vorstellung davon. Eine Menge Zitate, die Heidi Laura fand, hatten damit zu tun. Unter anderem, weil Frauen menstruieren, das wurde als unrein erachtet. Ich erinnere mich, dass ich Björk ein Angebot machte, nachdem wir schon viel gestritten hatten und sie eine Woche lang den Dreharbeiten zu „Dancer in the Dark“ ferngeblieben war. Ich gab ihr einen Kalender mit markierten Tagen und sagte, wir sollten an den nicht markierten arbeiten. Sie fragte, warum; ich antwortete: „An den markierten Tagen hast du deine Periode.“
Sie wussten, wann Björk ihre Periode hatte?
Ja, weil sie denselben Zyklus wie meine Frau hatte. Das war natürlich sehr provozierend, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt den Film ohnehin schon fast aufgegeben. Okay, was kann ich noch über mein Verhältnis zu Frauen sagen? So wie ich Männer in meinen Filmen darstelle, sind sie immer dumm, oder nicht? Und die Frauen leiden immer. Das ist natürlich nicht richtig. Aber für mich sind diese Figuren in dieser Form von Bedeutung.
Ihre Filme zehren stark von der Vorstellung, dass Frauen anders sind als Männer.
Davon bin ich ziemlich überzeugt. Wobei – vielleicht erscheinen mir Frauen nur deshalb anders, weil ich anders mit ihnen kommuniziere. Ich weiß nicht recht. Meine Mutter war sehr dominant. Wenn ich mich zurückerinnere, dann denke ich lieber an meinen passiven Vater. Ihm fühle ich mich verbundener, weil ich dasselbe Geschlecht habe und weil auch er der Kontrolle meiner Mutter unterworfen war. Auf der anderen Seite verstehe ich mich, von Björk abgesehen, sehr gut mit Schauspielerinnen.
Wie war es jetzt, mit Charlotte Gainsbourg zusammenzuarbeiten?
Sehr gut. Während der Dreharbeiten ging es mir seelisch sehr schlecht. Wir hatten Probleme mit den Agenten der Schauspieler wegen der Nacktheit. Sie kam auf mich zu und sagte: „Ich will diese Rolle unbedingt.“ Das war sehr stark, unglaublich. Und sie meinte es wirklich so. Dafür bewundere ich sie. Sie war fantastisch. Sie denkt, ich hätte fantastisch Regie geführt, aber ich war gar nicht wirklich da.
Was meinen Sie damit?
Ich hatte eine Depression, und ich versuchte, mich mit Hilfe der Arbeit aus der Depression herauszuwinden. Es war schon schwierig für mich, überhaupt körperlich am Set anwesend zu sein. Ich hatte Angstzustände, trank zu viel, alles versank irgendwie im Dunst. Normalerweise führe ich die Kamera selbst, aber meine Hände zitterten zu stark. Da war es gut, dass Charlotte und Willem Dafoe da waren, dass wir ein Team waren. Sonst wäre es eine Katastrophe geworden.
Die Figur von Charlotte Gainsbourg ist stark mit der Natur verbunden, die von Willem Dafoe stark mit der Vernunft. War das für Gainsbourg okay?
Sie las das Drehbuch, als wär’s die Bibel. Wir haben viel über das Buch geredet, auch weil ich nicht wollte, dass wir plötzlich bestimmte Sachen diskutieren müssten, die Masturbations-Szenen zum Beispiel. Sie war vollständig einverstanden. Sie ist extrem. Als Privatperson ist sie schüchtern, es kann passieren, dass sie ein ganzes Abendessen über kein einziges Wort sagt. Einmal habe ich sie gefragt: „Wie geht es an, dass jemand so Schüchternes wie du die Masturbationsszene am Baum ohne Probleme spielen kann?“ Sie antwortete: „Das wüsstest du wohl gerne.“
Es gibt in „Antichrist“ drei Szenen, die weit über das hinausgehen, was man normalerweise im Kino sieht: die kurze Hardcore-Einstellung im Prolog…
Ja, die Penetration…
Dann ihre Selbstverstümmelung und den erigierten Penis, der Blut ejakuliert. Warum war es für Sie wichtig, diese Einstellungen im Film zu haben?
Weil es eine Art Betrug gewesen wäre, diese Dinge nicht zu zeigen. Das mag provozierend sein, ist aber nicht so gedacht. Ich wollte keine Einstellung haben, wo man sieht, dass sie sich an ihrem Unterleib anfasst, das Ganze aber unterhalb des Bildrandes stattfindet. Wenn man Genres mischt und einiges aus dem Pornofilm, anderes aus dem Horrorfilm nimmt, ist das natürlich schockierend. Da gibt es immer einen speziellen Dreh, eine Verschiebung. Auf der praktischen Ebene war das ganz einfach – wir hatten jemanden, der sich um die Spezialeffekte kümmerte, etwa bei der Genitalverstümmelungsszene.
Den Witz haben Sie bei der Pressekonferenz in Cannes auch gemacht…
Oh, das habe ich dort gesagt? Sie waren bei dieser Pressekonferenz? Mist.
Die Reaktionen dort auf Ihren Film klangen sehr ablehnend.
Dieses Publikum hatte sich entschlossen, den Film zu hassen, bevor es ihn überhaupt sah. Das macht mich nicht unglücklich. Andere, denen ich vertraue, mögen den Film. Man spiegelt sich ja in den Leuten, denen man vertraut. Ich fange jetzt selbst an, den Film zu mögen. Dafür habe ich lange gebraucht, weil mein psychischer Zustand so heikel war, als ich den Film machte.
In „Antichrist“ erkunden Sie, wie der Schmerz der weiblichen Figur aussieht, ihre Krise. Und plötzlich lassen Sie einen Fuchs „Chaos herrscht“ zischen. Auf mich wirkt das, als wollten Sie durchstreichen, was Sie zuvor entwickelt haben.
Vielleicht, aber ich sehe es anders. Der dumme Fuchs und die anderen Tiere begegneten mir während meiner schamanischen Reisen. Wissen Sie, was das ist?
Nein, nicht genau.
Man macht eine imaginäre Reise und kann dabei mit Tieren sprechen. Das geht darauf zurück, dass es in primitiven Stämmen einen Mann gab, der in die Parallelwelt übertreten konnte, dort Dinge sah und dann zurückkehrte. Die Technik, die verwendet wird, um in Trance zu geraten, ist ein bestimmter Trommelschlag. Der ist übrigens für alle Zivilisationen derselbe. Ich habe im Film wiederholt, was ich bei diesen Reisen sah. Es ist also nicht lustig, sondern ganz ernst für mich. Aber dann ist es doch auch lustig, weil Humor eines meiner Werkzeuge ist. Wenn am Ende all die Frauen den Berg hochgehen und der Held alleine dort steht, dann ist das irgendwie auch ein Witz. Und zugleich kein Witz. Als ich „Breaking the Waves“ schrieb, habe ich die ganze Zeit über gelacht, aber das heißt nicht, dass etwas sehr Lustiges dabei herauskommt. Der Fuchs war vielleicht ein Fehler, aber er wollte einfach seinen Text bekommen.
Ein Fuchs frisst sich selbst auf. Einem Reh hängt das tote, halb geborene Kitz aus dem Leib. Aus einem erigierten Penis spritzt Blut statt Ejakulat. Eine Frau verstümmelt ihre eigenen Genitalien mit einer rostigen Schere.
In seinem jüngsten Film „Antichrist“ stellt Lars von Trier alle Zeichen auf Schock. Die Bilder sind düster, verwunschen und rätselhaft, sodass man den Film weniger realistisch denn als Tour de Force durch eine Psyche in Not verstehen möchte. Horrorfilm und Psychodrama verschränken sich, Szenen großer Tragik kippen ins Komische. Im Mittelpunkt ein Paar – gespielt von Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe –, das sich nach dem Tod seines drei Jahre alten Sohnes in eine Waldhütte zurückzieht. Der Prolog, gefilmt in Schwarz-Weiß und Zeitlupe, gibt Auskunft über das Unglück. Gelackt wirkende Bilder zeigen zu Georg Friedrich Händels „Lascia ch’io pianga“, wie die Eltern miteinander schlafen und wie das Kind sie dabei beobachtet. Es steigt daraufhin auf ein Fensterbrett, sein Kuscheltier fällt hinunter auf die verschneite Straße, das Kind stürzt hinterher. In den folgenden Kapiteln macht der Mann, ein Therapeut, die Frau, die über den Tod des Kindes nicht hinwegkommt, zu seiner Patientin; ein Kampf zwischen den Geschlechtern, zwischen Ratio und Intuition setzt ein. Diese fast modellhafte Anordnung reichert sich um uralte oder erfundene Überlieferungen und dunkel raunende Verweise auf die Hexenverfolgung an.
Ein Parforceritt – mit einem Problem: Lars von Trier fährt so viele Geschütze auf, bringt so viele große Fragen ins Spiel und ist so idiosynkratisch in seinen ästhetisch-moralischen Entscheidungen, dass es schwer fällt, ihm bedingungslos zu folgen. CN
■ „Antichrist“, Regie: Lars von Trier. Mit Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe u. a. Dänemark/Deutschland u. a. 2009, 104 Min.
Ich weiß nicht, ob er ein Fehler ist, er ist nur …
… verwirrend, ja. Das verstehe ich. Aber ich will gar nicht absichtlich verwirren. Vielleicht ein bisschen absichtlich, okay, aber ich will nicht den Film im Film unterwandern.
Ich möchte noch einmal nachhaken: Sie stellen diese großen Fragen – Wer sind wir? Gibt es Gott? – und Sie legen dabei auch den Ernst von Dreyer oder Tarkowskij an den Tag, aber Sie geben dem etwas komplett Unernsthaftes bei. Warum?
Wenn man sich einer Sache unsicher ist, gibt es zwei Reaktionen: Entweder man lacht, oder man weint. Es ist unvorhersehbar, was es sein wird. Bei „Breaking the Waves“ haben sicher viele Leute gelacht. Wenn die Heldin stirbt, dann sind manche müde von all dem Melodrama, denken sich, „Okay, jetzt stirbt sie auch noch, was soll’s“, und winden sich dabei auf ihren Sitzen. Ich verlange viel von meinem Publikum. Ich erwarte, dass es eine Menge Dinge akzeptiert. Und wenn dabei etwas lächerlich erscheint, dann deshalb, weil ich nicht überzeugend genug bin.
In einer Einstellung verlässt der Protagonist die Waldhütte Eden und begegnet zahllosen, gesichtslosen Frauen, die den Berg hinaufgehen. Ich habe mich gefragt: Sind das nun Wiedergängerinnen der Frauen, die während der Hexenverfolgung verbrannt wurden? Oder sind es Hexen, die den Berg besteigen, um dort eine fantastische Walpurgisnacht zu feiern?
Es gibt da diese Kurzgeschichte von einem dänischen Schriftsteller, er war vermutlich ein Rassist, aber egal. Es ist die Geschichte eines Weißen in China, der immer depressiver wird. Am Ende begeht er Selbstmord, indem er sich ins Wasser stürzt. In dem Text heißt es dann, er ertrinke in all diesen chinesischen Gesichtern. Der Ausdruck ist aber nicht „Gesicht“, sondern ein viel roheres Wort für asiatische Physiognomien. Mein Film hat mit den Geschlechtern zu tun, ich bin von August Strindberg sehr fasziniert, das muss ich zugeben, und Strindberg hätte sich leicht so etwas vorstellen können: einen Mann, der in all diesen weiblichen Formen, Körpern, Gesichtern ertrinkt. Es ist schon ein bisschen parodistisch, der Held ist gerade mit der einen Frau fertig geworden, und jetzt steckt er schon wieder – und noch viel tiefer – im gleichen Problem fest. Ich weiß nicht genau, ich hielt es für ein schönes Bild. Es lässt sich in viele Richtungen interpretieren, man kann es so lesen, als sagte es: Es gibt Hexen. Aber ich glaube nicht an Hexen. Darin höre ich auf meine Mutter. Die war Vorsitzende der Feministischen Gesellschaft Dänemarks, sie würde es hassen, wenn jemand an Hexen glaubt. Es sieht so aus, als machte ich alle meine Filme für meine tote Mutter. Aber eine Sache ist tatsächlich lächerlich in der Szene: dass alle Frauen Handschuhe tragen.
Das habe ich gar nicht bemerkt.
Gott sei dank. Irgendjemand hat den Statistinnen gesagt: „Tragt Handschuhe, es könnte sonst kalt werden.“ Und dann hat ihnen niemand gesagt, die Handschuhe auszuziehen. Es war lächerlich. Ich hab’s auch nicht gesehen. Und jetzt wird man darin etwas Wichtiges erkennen, etwas Mystisches, eine neue Dimension. Aber es war nur ein Fehler.
Der Mann, der in all den Frauenkörpern ertrinkt – der Film ist voll solch innerer Bilder, die in den Köpfen der Figuren existieren. War das nicht schwer, sich all dies und nachvollziehbar auszudenken? Können Sie etwas mehr darüber sagen, wie Sie diese Bilder entwickeln? Wo die Tiere herkommen, habe ich ja schon erklärt. Für die Zeitlupe im Prolog haben wir eine fantastische neue Kamera benutzt, die 1.000 Einzelbilder in der Sekunde hinbekommt. Gleich was man filmt, es sieht magisch aus. Aber Ihre Frage ist schwierig, als wollten Sie von einem Maler wissen, warum er das Dreieck an diese eine, bestimmte Stelle gesetzt hat und nicht an eine andere. Es ist ein Teil des Arbeitsprozesses: Erst gibt man das Dreieck an die falsche Stelle, dann an die richtige. Was falsch und was richtig ist, ist schwer zu bestimmen. Andersherum ist es einfacher: Hier haben wir dieses innere Gefühl, wie können wir es in einem Bild wiedergeben? Vielleicht ist es das, was ich mache, aber ich bin mir dessen nicht bewusst.
Sie wagen sich weit vor, wenn Sie Bilder erschaffen, die in den Köpfen der Figuren existieren. Sie wagen sich aber auch weit vor, indem Sie viel über sich selbst und Ihre Familie sprechen. Haben Sie niemals Angst, zu viel zu riskieren, von sich preiszugeben?
Ich weiß nicht, ob ich zu viel riskiere. Die Angstzustände habe ich, seit ich sechs Jahre alt bin. Es ist unmöglich, das zu verbergen. Ich habe eine Theorie. Wenn man ein schöpferischer Mensch ist und gut sein will, muss man sich selbst sein. Man kann nicht sein ganzes Leben etwas vortäuschen. Es gibt eine Aufrichtigkeit, die man gar nicht verhindern kann, selbst wenn man wollte. Für mich ist es leichter, über meine Angstzustände zu reden, als eine Geschichte zu erfinden. Ich mache das also nicht, weil ich tapfer wäre, sondern weil ich es nicht besser kann. Außerdem wären Gespräche wie dieses noch viel dümmer, wenn es nicht wahr wäre, was ich sagte. Das wäre wirklich Zeitverschwendung.
Ich fand es nicht dumm.
Ich auch nicht. Ich bin nur neugierig, ob Sie schreiben, dass ich Frauen hasse.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie Frauen hassen, nur, dass Sie ganz anders über Frauen denken, als ich das tue.
Wenn Leute sagen, ich würde Frauen hassen, erschiene mir das auch sehr weit hergeholt. Warum sollte ich zehn Filme mit weiblichen Hauptfiguren machen? Wenn man keine Elefanten mag, macht man doch nicht zehn Filme mit Elefanten, oder?