Gesellschaft: Der dritte Mann taucht auf
Porsche und Piëch. Nur die beiden? Gern hat die Weltmarke vergessen, dass es noch einen Dritten gab: den jüdischen Miteigentümer Adolf Rosenberger. Er steht vor seiner Rehabilitierung.

Von Josef-Otto
Freudenreich
Bis zu seinem Tod im Jahr 1967 gönnt ihm die Firma Porsche ein Privileg: Wenn Adolf Rosenberger auf dem Echterdinger Flughafen landet, wartet immer das neueste Modell auf ihn. Der Schlüssel liegt bei der Information, das Auto wartet vollgetankt auf dem Parkplatz, kostet nichts und steht zur Verfügung, solange er will. Damit braust der ehemalige Rennfahrer zu seiner Verwandtschaft nach Pforzheim, wo er als Ziehsohn der Familie Esslinger aufgewachsen ist, der reichsten in der Stadt. Sehr zur Freude der Kinder, die glücklich sind, wenn sich „Onkel Al“ mit ihnen im offenen Cabrio zeigt. Das „Al“ kommt von Alan Arthur Robert, wie er sich nennt, seitdem er 1938 in die USA emigriert ist. Rosenberger ist assimilierter Jude.
Eine billige Geste. „Porsches dritter Mann“ oder „Der Mann, der Porsche machte“, lauteten später die Überschriften, die zeigen sollten, dass der Konzern nicht nur aus Ferdinand Porsche und seinem Schwiegersohn Anton Piëch bestand. Womöglich hätten sie es so weit gar nicht gebracht, wäre da nicht der Junge aus der Goldstadt gewesen, der immer wieder Geld beschafft, wenn die Not groß ist in ihrer Firma in der Stuttgarter Kronenstraße 14. Sie trägt den langen Namen „Dr.-Ing. h.c. Ferdinand Porsche GmbH, Konstruktionsbüro für Motoren-, Fahrzeug-, Luftfahrzeug- und Wasserfahrzeugbau“ und gilt als Keimzelle der Weltmarke. Rosenberger ist 1931 Mitgründer, Geschäftsführer und Gesellschafter. Bis die Nazis an die Macht kommen. Seinen Anteil überschreibt er 1935 an Ferdinand Porsches Sohn Ferry. Hier scheiden sich die Geister.
Während Rosenberger später klagt, Porsche habe sich seiner Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde bedient, „um mich billig loszuwerden“, für 50.000 Mark und einen Käfer, behauptet Ferry Porsche, dass sie sich stets für ihn eingesetzt hätten. Etwa als ihn die Gestapo verhaftet und ins KZ Kislau gesteckt hat. Mit der Begründung, man benötige ihn als Repräsentant außerhalb Deutschlands, sei er freigekommen, berichtet der Filius des Gründervaters 1978 in seiner Autobiografie „Porsche – Ein Traum wird Wirklichkeit“ in der ersten Auflage. Allerdings habe das Unternehmen eine Entschädigung, die Rosenberger verlangt hat, nicht leisten können, weil der Antisemitismus des NS-Regimes „absolut nichts mit unserer Firma zu tun hatte“. Die eigentliche Ursache für Rosenbergers Schwierigkeiten sei gewesen, dass er „verbotenerweise mit einer ‚Arierin‘ liiert“ war. „Rassenschande“ hieß das damals.
Für Ferry Porsche ist eine „Arierin“ schuld
Anne Junkert, einst Chefsekretärin bei Ferdinand Porsche, spätere Gattin Rosenbergers – und Patentante eines jener Kinder, die damals mit „Onkel Al“ im Sportwagen umhergesaust sind, hat sich darüber sehr empört, wie ihr Großneffe Hartmut Wagner heute erzählt. Im Pforzheimer Reihenhaus des 71- Jährigen stapeln sich die Aktenordner mit den Aufschriften „Tante Anne an Tante Martha“, woraus er die Erkenntnis gezogen hat, dass die Fürsorge der berühmten Kompagnons keine war. „Al ist an Porsche zerbrochen“, sagt der pensionierte Sozialarbeiter, „der Schutz vor den Nazis ist eine Legende“. In seinem Keller steht noch ein blauer Koffer, in dem die Briefwechsel von Tante Anne verstaut waren, bereitgestellt für einen Professor, der Licht ins Dunkel bringen sollte: Wolfram Pyta von der Uni Stuttgart. Er hat viel über Hindenburg und Hitler gearbeitet, ist nebenbei noch Direktor der Ludwigsburger Forschungsstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Porsche beauftragt ihn, die Unternehmensgeschichte von 1931 bis 1951 aufzuarbeiten, Etat 300.000 Euro. Eine Stiftungsprofessur am Institut folgt, angelegt auf zehn Jahre, gesponsert mit drei Millionen Euro. 2017 entsteht ein Buch („Vom Konstruktionsbüro zur Weltmarke“), mit dem auch die Nachkommen leben können, wird ihnen doch versichert, dass ihre Vorfahren „keine innere Bindung“ zu den Kernzielen des NS-Regimes verspürt haben. Auch habe er, Pyta, „kein einziges Zeugnis“ gefunden, das eine antisemitische Einstellung von einem führenden Mitglied der Porsche GmbH „eindeutig belegen“ würde. Der Koffer verbrachte ein Jahr im Institut. Er habe nicht den Eindruck gemacht, je geöffnet worden zu sein, erzählt Wagner.
Dasselbe trifft auf das Buch „Stuttgarter NS-Täter“ (Hg. Hermann G. Abmayr) zu, in dem der Wirtschaftsjournalist und Kontext-Autor Ulrich Viehöver bereits 2009 die Mär vom unpolitischen „Nazi-Tüftler“ entlarvt hat. Obwohl Auftakt für eine Reihe kritischer Berichte im In- und Ausland, und trotz der Ankündigung gegenüber der israelischen Zeitung „Haaretz“, die eigene NS-Geschichte erforschen zu lassen, findet das Werk bei Pyta keine Erwähnung.
Mitte September 2017 reist der SWR-Journalist Eberhard Reuß nach Los Angeles. Sein Ziel ist die Familie Esslinger, die mit den Rosenbergers verwandt ist und den Hauptteil ihres Nachlasses verwaltet. Vor laufender Kamera erzählt Phyllis Esslinger, im Januar 2016 habe eine Mitarbeiterin von Pyta angerufen und gefragt, ob sich ihr Chef bei ihr melden könne. Auf ihr Ja sei das nie geschehen, „I never heard from him“.
Ein Rückruf hätte sich gelohnt. In großen Kartons hat ihre Tochter Sandra Hunderte von Briefen, Fotos und Dokumenten aufbewahrt, viele aus der Zeit, als Rosenbergers Frau Anne bei Ferdinand Porsche Chefsekretärin war. Dort fänden sich Beweise, dass der jüdische Miteigentümer aus „opportunistischen Gründen aus dem Unternehmen gedrängt wurde“, sagt die Professorin für Kunstgeschichte, außerdem sei „persönlicher Antisemitismus von Dr. Porsche“ gegenüber Rosenberger ausgeübt worden.
Anwalt Rückel vertritt auch KZ-Überlebende
Ende Oktober 2022 ist Anwalt Christoph Rückel, 73, bei ihr zu Besuch. Der Münchner Jurist ist ein ausgewiesener Experte in NS-Prozessen. Er checkt die Dokumente, zeigt sich überrascht von der Fülle des Materials, bittet Kontext telefonisch um ein paar Tage Zeit, wenn er wieder in Deutschland ist und in Itzehoe plädiert hat. Beim Stutthof-Prozess steht eine 97-jährige KZ-Sekretärin vor Gericht, Rückel als Nebenkläger stützt letzte Überlebende. In seinen jungen Anwaltsjahren hat er die Angehörigen der jüdischen Sportler vertreten, die dem Olympia-Attentat in München 1972 zum Opfer gefallen sind. Das lehrt Langmut.
Rückel hat die „Adolf Rosenberger gGmbH“ 2019 gegründet. Er ist Vorsitzender im Aufsichtsrat, weitere Mitglieder sind Sandra Esslinger, Hartmut Wagner, Rami Suliman, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Pforzheim. Laut Satzung soll die gemeinnützige Gesellschaft gegen Diskriminierung und Rassismus antreten, jene unterstützen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, und, vor allem, dem Namensgeber gerecht werden. Letzteres übernimmt der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck, der sich einen Namen mit Firmenstudien (Bosch, Mohn, Quandt) gemacht hat und tun soll, was Pyta nicht vollbracht hat: Ein lückenloses Buch vorlegen, das dem Eindruck wehrt, ein Gefälligkeitsgutachten zu sein.
Und Porsche ist wieder dabei. Diesmal mit klaren Ansagen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung wird formuliert, was Rückels gGmbH will. Ein vollständiges Bild über die 1930-er Jahre, über den Umgang mit Rosenberger, ohne Schonung der Gründerväter, insbesondere Ferdinand Porsches, nach dem Plätze, Straßen und Gymnasien benannt sind. Wenn nicht alles täuscht, müsste dazu die Korrespondenz seiner Chefsekretärin, noch verborgen in Kartons in L. A., eine, womöglich explosive Fundgrube sein.
An der Börse ist eine saubere Weste nicht verkehrt
Auffällig ist, dass Porsche die Sprengkraft seiner Geschichte diesmal offenbar erkannt hat. Im Prospekt vom 19.9.2022 für den Börsengang in Frankfurt verweist die Firma ausdrücklich auf die Geschichte Rosenberger, übernimmt teils wortgleich die Position der Rückel-Seite, räumt ein, dass die Reputation des Unternehmens darunter leiden und die Berichterstattung darüber weitergehen könne. Auch über Gründer Ferdinand Porsche. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass Rückel stets mit Kommunikationschef Sebastian Rudolf verhandelt hat, der für Porsche und VW zuständig ist. So ein Börsengang, der auch an der Wallstreet beobachtet wird, ist ein diffiziler PR-Ritt.
Es seien lange und schwierige Gespräche gewesen, bilanziert Rückel und betont, dass es nicht um Geldforderungen gegangen sei. Einzelheiten mag er nicht nennen, es ist Stillschweigen vereinbart, wichtig ist ihm, dass der Konzern jetzt seine „historische Verantwortung“ annimmt. Die Kunde aus dem Porsche-Archiv deutet darauf hin, dass die Botschaft verstanden wird. „Wir unterstützen, wie's irgendwie geht“, versichert Archiv-Leiter Frank Jung, Professor Scholtyseck bekomme „jedes Schnipselchen“.
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