: Zauber des Unspektakulären
Das Deutsche Ledermuseum in Offenbach zeigt erstmals eine Ausstellung, die sich ausschließlich einem eher unterbewerteten Kleidungsstück widmet: dem Handschuh
Von Katharina J. Cichosch
Bedecken – oder nicht? Gute Argumente dafür gäbe es ja schon. Zum Beispiel dieses Paar Handschuhe von Marc Jacobs, gefertigt aus roséfarbenem Netzstoff, konturiert mit schmalen Lederapplikationen, gerade so viel, dass eigentlich wieder überhaupt nichts bedeckt wird. Doch genau darum geht es hier, unter anderem.
Eine Weile lang gehörten die Hände zu den modetechnisch eher vernachlässigten Körperpartien. Erstaunlich genug, wenn man bedenkt, wie präsent sie rund um die Uhr im Fokus stehen und wichtige Dinge erledigen. Die Frage ihrer Bekleidung wurde in den letzten Jahrzehnten primär nach praktischer Notwendigkeit beantwortet. Kulturhistorisch war diese Phase allerdings recht kurz, woran jetzt die neue Ausstellung im Offenbacher Ledermuseum erinnert.
Dort gibt es neben den angesprochenen Designerexemplaren, die garantiert gar nicht warmhalten, nicht nur weitere Modelle von Chanel, Hermès, Maison Margiela oder Prada zu sehen, sondern außerdem cremeweiße Lederhandschuhe mit Seidenrips und Tambourstickerei, prunkvolle Pontifikalhandschuhe aus dem 18. Jahrhundert mit Metallstickerei und Pailletten darauf, gestreifte Fäustlinge aus dem Pelz des Karibu, die Indigene um 1940 herum in den Northwestern Territories anfertigten, Panzerhandschuhe einer echten Ritterrüstung, ein zitronengelb eingefärbter Muff des Kürschners Hans Schwarz oder die Halbfingerhandschuhe „Tribute to Karl“ von Roeckl mit Nappaleder und Metallkettchen, wie sie Karl Lagerfeld selbst gern trug.
Die kunstvolle Gestaltung der Handbekleidung hat Kontinuität – über Jahrtausende wurde der praktische Schutz vor Kälte, Reibung, Chemie auf alle erdenklichen Weisen raffiniert und variiert. Viele der 90 ausgestellten Modelle konnte das Museum aus der hauseigenen Sammlung bereitstellen, etliche sind zum ersten Mal zu sehen.
Eine Ausstellung allein über den Handschuh, der sich seinem Formenreichtum wie seiner wandlungsvollen Geschichte widmet, hat es im deutschsprachigen Raum nämlich noch nicht gegeben. Herrlich auch die erfolglosen (die Tamponentfernungshandschuhe Pinky Gloves) oder jetzt hoffnungslos historischen Beispiele (wird Nintendo heute nicht mit dem terminatoresken POWER GLOVE, sondern wieder unspektakulär mit Controller gespielt).
Wie formvollendet der Handschuhkultur einst gehuldigt wurde, zeigen historische Artefakte wie Handschuhschatulle und gar eine Station, aus der Handschuhparfum strömt.
Aus gutem Grund nicht im Original vorhanden sind leider diese Exemplare, die ganz aktuell den Zauber des Kleidungsstücks bezeugen: Als Bernie Sanders 2021 zur Amtseinführung von Joe Biden missmutig dreinblickend im Publikum saß, waren es seine braun-weiß gemusterten Fäustlinge, die weltweit Aufmerksamkeit weckten.
Nachkaufen konnte man die schönen wie praktischen Handwärmer zur Enttäuschung etlicher Fans aber nicht: Die Lehrerin Jen Ellis hatte sie selbst gestrickt und dem US-Senator 2016 als Glücksbringer im Wahlkampf zugeschickt.
„Der Handschuh“, Deutsches Ledermuseum Offenbach, noch bis 30. Juli 2023, Katalog 224 S., 38 Euro
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