: Saudische Frauen am Steuer? Niemals!
In dem konservativen Königreich ist erneut eine erregte Debatte über das gesetzliche Fahrverbot für Bürgerinnen des Landes ausgebrochen. Schuld ist ein Abgeordneter. Er findet nämlich, dass die Männer zu schlecht fahren
DSCHIDDA taz ■ Das Thema will einfach nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden: das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien, dem einzigen Land der Welt, das seinen Bürgerinnen gesetzlich verbietet, sich hinters Steuer zu setzen. Es war Mohammed al-Zulfa, Mitglied der Schura, einer Art Parlament, der die neue Debatte anstieß. Thema der Sitzung waren neue Verkehrsregelungen anlässlich der zahlreichen jungen Männer, die als Freizeitspaß mit oder ohne Führerschein bei Wettrennen die Straßen unsicher machen. Da Frauen vermutlich vorsichtigere Fahrerinnen seien, schlug al-Zulfa vor, ihnen als ersten Schritt ab 35 das Autofahren zu erlauben. Dies führte zu einer öffentlichen Kontroverse zwischen Frauenrechtlerinnen und Konservativen. Letztere glauben, dass eine Aufhebung des Fahrverbots unislamisch sei und zu Unsittlichkeit führe. Al-Zulfa erhielt anonyme Drohbriefe, und Anrufer sprachen sich dafür aus, ihm die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Al-Zulfa hatte in der Schura argumentiert, das Fahrverbot sei weder im Islam noch im islamischen Recht niedergelegt. Es beziehe sich vielmehr auf Fatwas, religiöse Rechtsgutachten, in denen Geistliche behaupten, Frauen könnten beim Autofahren in Situationen kommen, bei denen sie mit Männern in Kontakt und daher „in Versuchung“ geraten könnten – etwa bei einer Panne.
Gemäß dem Islam dürfen sich Frauen nicht alleine mit Männern im gleichen Raum aufhalten, aber sobald es ums Autofahren geht, sehen Geistliche dies als das geringere Übel. Rund sieben Millionen saudische Frauen sind auf männliche Fahrer angewiesen, um zum Einkaufen, zum Krankenhaus oder an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Frauen, deren Familien sich das Monatsgehalt von umgerechnet 250 bis 350 Euro für einen Fahrer nicht leisten können, sind auf männliche Verwandte angewiesen.
Aber es sind nicht nur religiöse Autoritäten, die die Debatte bestimmen. Viele saudische Männer können sich nicht vorstellen, dass ihre Frauen, Mütter oder Schwestern alleine Auto fahren. Die Argumente lauten, Frauen seien keine guten Chauffeurinnen oder intellektuell nicht dazu in der Lage. Vielleicht spielt auch der Gedanke eine Rolle, dass die Männer ausgesprochen schlecht Auto fahren und zahlreiche Unfälle verursachen – ebendies war ja der Anlass für al-Zulfas Äußerungen.
Hinter diesen Argumenten steckt die Angst der Männer, eine Aufhebung des Fahrverbots werde nach der Einführung von Personalausweisen ein weiterer Schritt von der Bürgerin zweiter Klasse zur Bürgerin erster Klasse oder gar der Gleichstellung von Frauen bedeuten. Ein Gedanke, der für die meisten saudischen Männer schwer zu ertragen ist. Sie sind es gewohnt, an erster Stelle zu stehen, über den Frauen, die sich ihrer Gegenwart glücklich schätzen dürfen.
Gefahren und Belästigungen durch männliche Fahrer dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Auch Frauen nehmen dies zur Kenntnis. „Mir liegt nicht viel daran, in Saudi-Arabien Auto zu fahren, wenn ich an all die verrückten Fahrer denke“, sagt die Bankangestellte Nahla S., die einen britischen Führerschein besitzt. Und die Beamtin Muna B. glaubt, dass saudische Männer nicht reif genug sind, um Frauen beim Autofahren respektvoll zu behandeln, anstatt sie zu jagen. Al-Zulfa glaubt, den Bedenken und „Gefahren“ mit seiner Altersbegrenzung und 17 weiteren Einschränkungen Rechnung zu tragen. Er schlägt beispielsweise vor, dass Frauen nur zu bestimmten Urzeiten fahren dürfen und auf Autobahnen nur in männlicher Begleitung, dass die neue Regelung lediglich für bestimmte Berufe wie Lehrerinnen oder Professorinnen gilt.
Die einfachste Lösung wäre, wenn die saudische Regierung für den Anfang ein Gesetz verabschiedet, das den Frauen unter bestimmten Einschränkungen das Autofahren erlaubt. Einen ähnlichen Konflikt gab es in Saudi-Arabien schon einmal, als Ende der Sechzigerjahre mit einem Erlass die Schulpflicht für Mädchen eingeführt wurde. Damals musste König Faisal Bin Abdul Aziz in einigen Gegenden Mädchenschulen von Hubschraubern schützen lassen. Zwei Jahre später forderten die ursprünglichen Gegner der Schulpflicht, dass mehr Mädchenschulen in ihren Dörfern gebaut werden.
Es gab auch bereits einen Versuch, die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen zu erzwingen. 1990, kurz vor dem Beginn des zweiten Golfkrieges, als US-Truppen im Land stationiert waren, widersetzten sich 47 Frauen dem Verbot und fuhren tagsüber durch die Straßen der Hauptstadt Riad. Die Strafen waren hart: Die Frauen verloren ihre Arbeit, ihre männlichen Verwandten wurden eingesperrt, und das Fahrverbot, bislang nicht gesetzlich fixiert, wurde erlassen.
Saudi-Arabien befindet sich in einer Aufbruchstimmung auf allen Ebenen, vor allem aber der gesellschaftlichen. Wohin der Weg führen wird, ist offen. „Es ist, als stecken wir im Hals einer Flasche und müssen raus“, sagt al-Johara al-Angari von der Nationalen Menschenrechtsorganisation. „Ich mag nicht daran denken, was aus Saudi-Arabien wird, falls die Gesellschaft den falschen Weg geht. Wir werden auf den Boden der Flasche fallen, und der Deckel wird für immer und ewig geschlossen bleiben.“
DAHLIA RAHAIMY