: Persönliche Kopie
TANZ UND URHEBERRECHT Intelligent informiert Christoph Winkler darüber in seinem Stück „Dance! Copy! Right?“ in den Sophiensælen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Stellen wir uns mal vor: Jede Bewegung hätte ihren Preis. Einfaches Gehen 10 Euro, zum Abschied winken 20 Euro, in den Spagat gleiten 40 Euro, erotisches Hüftkreisen 30 Euro. Man bräuchte als Choreograf gar nicht anzufangen, die Lizenz für die Rechte an jeder Bewegungsfolge wären unbezahlbar.
Dieses Gedankenspiel wird zu einer virtuosen Szene in dem Stück „Dance! Copy! Right?“ von Christoph Winkler. Mit vier grandiosen Performern hat er um Fragen des Urheberrechts ein informatives Stück entwickelt, in dem die Wege der Gedanken und die Wege des Körper als Analogien betrachtet werden. „Jeden Gedanke, den wir denken, hat auch schon ein anderer gedacht, und doch ist es unser eigener Gedanke“, sagt etwa Nicola Schössler und unterstreicht ihre Sätze mit Armgesten, die Katharina Mewes hinter ihr nachahmt. Alles, was in dieser Versuchsanordnung aus Tanz, Sprache, Musik und Videodance geschieht, findet ein Echo, eine Wiederholung oder Variation. Was davon wem gehört, im Sinne von geistigem Eigentum – oder körperlichen? – ist natürlich nicht auszumachen.
Schritte unterliegen nicht dem Urheberrecht, aber ab wann ihre Kombination als schützenswert gewertet werden kann, darum ging es vor zwei Jahren in einem Rechtsstreit in Bayern, zu dem Winkler als Gutachter geladen war. Der Prozess wird in „Dance! Copy! Right?“ als Rahmenhandlung nacherzählt. Es ging um ein Urban-Dance-Video, für das sich ein Unternehmen die Rechte an der Choreografie hatte sichern lassen. Das Unternehmen, im Stück durch einen Anwalt vertreten, den Luke Garwood spielt und tanzt, klagte gegen eine Tanzschule, die das Video im Unterricht benutzte. Chris Daftsios übernimmt die Rolle des Anwalts der Tanzschule: Natürlich treten er und Garwood nicht nur wortreich gegeneinander an, sondern auch gestenreich, und deklinieren die strittigen Bewegungen immer wieder durch. Was nach kurzer Zeit aussieht wie ein HipHop-Battle, ein Duett der Überbietungen, aber auch lächerlich in der Nachahmung. Nicht zuletzt tanzen hier zwei weiße Männer ständig etwas, was aus einem Musikvideo des schwarzen R-&-B-Sängers Mario stammt.
Interessant ist an dieser Konstellation: Nicht ein Künstler klagt gegen einen anderen, sondern ein Verwerter gegen einen anderen. Genauso wie die Popstars tanzen zu können, das eben war das Versprechen der Tanzschule, und genau das ist der Ehrgeiz der Dance-Fanatics: Die getreueste Kopie des Originals gewinnt im Wettbewerb. Das Kopieren und Zitieren als Teil popkultureller Praxis hat Winkler auch schon zuvor in seiner Arbeit verhandelt, vermutlich bekam er deshalb überhaupt die Gutachterrolle. Der Kläger war von ihm enttäuscht, urteilte Winkler doch, in Marios Video sei keine choreografische Handschrift erkennbar, nur das Standardhandwerk des Musikvideos, das eine eigene Kunstform nur als Video sei. Tja, sophisticated.
Winklers eigene Kunst besteht nun darin, dieses überschaubare Tanzmaterial von vier Minuten von seinen Performern ständig anders interpretieren zu lassen, die gleichen Gesten mit unterschiedlichen Charakteren aufzuladen. Man erkennt oft nicht sofort, dass diese Sequenz ja schon wieder aus dem gleichen Ausgangsmaterial gestaltet ist, so verblüffend anders wirken die Interpretationen, selbst da noch, wo die Tänzer Marios „Let me love you“ dazu singen. Dass erst der Kontext den möglichen Sinn einer Bewegung ausmacht, ist auch ein langjähriges Thema von Winkler. Das Zitieren und Kopieren im Tanz geht fast immer auch mit der Verschiebung in einen anderen Kontext einher. Deshalb ist es, so sein Statement, oft nicht sinnvoll, als Künstler etwa auf Urheberrechten zu bestehen, wenn ein anderer Künstler die gleichen Bewegungen macht.
■ „Dance! Copy! Right?“: Sophiensæle 26.+27. Mai, 20 Uhr